Die Vorhaut ist notwendig

Westliche Länder haben keine Beschneidungstradition. In der Antike brachte die jahrhundertelange griechische Vorherrschaft, sowie die Expansion des Römischen Reiches westliche Völker mit Völkern aus dem Mittleren Osten in Berührung, wo einige ihre Kinder durch Zirkumzision oder andere Genital-Verstümmelungen kennzeichneten. Um diese Kinder zu schützen erließen die Römer wie zuvor die Griechen Gesetze, die die Beschneidung verboten.(1) Im Laufe der Jahrhunderte erließ auch die katholische Kirche mehrere ähnliche Gesetze.(2, 3) Die traditionelle westliche Sichtweise auf die Zirkumzision war gekennzeichnet durch Abscheu und Entrüstung.

Die Beschneidung als Routinemaßnahme begann während der Masturbationshysterie in der viktorianischen Ära, als einige wenige Ärzte kleine Jungen als Strafe für Selbstbefriedigung beschnitten. Viktorianische Ärzte wussten ganz genau, dass die Zirkumzision den Penis desensibilisiert, weniger empfindlicher werden lässt, entblößt und in seiner sexuellen Funktion beeinträchtigt. Erst später wurden nach und nach weitere Gründe wie die angeblichen gesundheitlichen Vorteile angefügt. Bald behaupteten die Ärzte, die Beschneidung heile sogar Epilepsie, Krämpfe, Lähmungen, Elephantiasis, Tuberkulose,  Ekzeme, Bettnässen, Hüftgelenkserkrankungen, Inkontinenz, rektale Prolapse, feuchte Träume, Hernien, Kopfschmerzen, Nervosität, Hysterie, schlechtes Sehvermögen, Idiotie, geistige Behinderung und Schwachsinn.(4)

In der Geschichte der Medizin wurde von keiner medizinischen Prozedur behauptet, dass sie eine größere Anzahl Krankheiten therapieren oder vorbeugen könne. Noch in den 1970ern  priesen führende amerikanische Sachbücher die Routine-Beschneidung als Vorbeugungsmaßnahme gegen Selbstbefriedigung an.(5) Die antisexuellen Motive hinter der Operation, die das Abschneiden eines Teils des Penis beinhaltet, sind offenkundig.

Die radikale Praxis der Routine-Säuglings-Zirkumzision in den USA begann erst in der Ära des kalten Krieges. Diese Institutionalisierung einer beinahe schon Pflichtbeschneidung, bei der Eltern zu Beschneidung gedrängt oder die männlichen Neugeboren gleich ohne Erlaubnis der Eltern beschnitten wurden, wurde von der gleichen medizinischen Bewegung vorangetrieben, die die Geburt pathologisierte und das Stillen verpönte. Privat-wirtschaftliche, von Unternehmen betriebene Krankenhäuser führten die Routine-Beschneidung ein, ohne die Öffentlichkeit jemals darüber zu informieren.

[Auch in Westdeutschland schwärmten in den 1950ern und 1960ern einige Ärzte von der Säuglings-Beschneidung wie in den "modernen USA" und forderten lautstark die Einführung einer routinemäßigen Beschneidung ganz nach US-amerikanischem Vorbild in der Bundesrepublik.]

Die Beschneidung war in den USA Jahrzehnte lang, trotz der hohen Beschneidungsrate, nie Thema einer öffentlichen Debatte. Erst in den 1970er Jahren zwang eine Reihe von gerichtlichen Klagen die Krankenhäuser eine schriftliche elterliche Zustimmung einzuholen, bevor sie diese medizinisch unbegründete, aber finanziell lukrative Operation durchführten. Die Beschneiderinnen und Beschneider reagierten darauf, indem sie neue „medizinische“ Gründe für die Beschneidung erfanden, um die Eltern zu ängstigen und damit zur Zustimmung zu drängen.

Die heutigen "Gründe" für die Beschneidung, die von Beschneidern angeführt werden, sind den jeweils aktuellen kollektiven Ängsten und Befürchtungen angepasst. So lange, bis auch diese wieder als irrational erkannt worden sind und durch neue Befürchtungen ersetzt werden müssen. [Die fanatische Anpreisung der Zirkumzision als fragwürdiges Mittel zur HIV-Prävention beispielsweise erinnert verdächtig an die Propaganda der Beschneidung zur Prophylaxe von Syphilis, dem "AIDS des 19. Jahrhunderts.] Da die einst gängigen Vorwände wie die Behauptungen, dass die Beschneidung Krebs und Geschlechtskrankheiten vorbeugen könne heute widerlegt und entkräftet sind, werden Beschneider/innen zweifellos neue Vorwände erfinden. Wenn die Beschneider von rein medizinischen Gedankengängen motiviert wären, wäre die Beschneidung längst ausgestorben, genauso wie der Aderlass oder die Kastration. Der Umstand, dass dem nicht so ist, deutet darauf, dass die Begierde andere zu beschneiden [vorzugsweise Kinder] zuerst da war und die sich stets wandelnden "Gründe" dafür erst später nachgeliefert wurden.

Millionen Jahre der Evolution haben den menschlichen Körper zu einem Muster an Vollendung, Eleganz und Effizienz werden lassen, wobei jeder Teil seine Funktion und seinen Zweck hat. [Tatsächlich steht die Befürwortung der Zirkumzision im Widerspruch zur Evolutionsbiologie. Die Evolutionsbiologie ist in dieser Hinsicht eindeutig. Nach den Gesetzten der Evolution werden Lebewesen von den Umweltbedingungen angepasst und für gewisse Umweltbedingten ungünstige, nachteilige körperliche Merkmale werden durch Selektion ausgemerzt, bzw. bilden sich durch gar nicht erst durch Selektion heraus. Ergo hätte sich die Vorhaut, wenn sie auch nur von gesundheitlichem Nachteil wäre, im Laufe der Evolution zurückbilden oder gar nicht erst bilden dürfen.

Die Evolution bestimmte aber, dass die Genitalien eines jeden Säugetiers in eine schützende, empfindliche und multifunktionale Vorhaut gehüllt werden. Jeder Mensch, männlich und weiblich, kommt mit einer Vorhaut auf die Welt. Bei den Frauen schützt sie die Klitoris, bei den Männern schützt sie die Eichel des Penis. Somit ist die Vorhaut ein essentieller Bestandteil der menschlichen sexuellen Anatomie.

Das freudige Ereignis der Geburt eines Kindes sollte Eltern sollte nicht beunruhigen. Dagegen geht in den USA die Geburt eines Sohnes mit Angst und Verwirrung einher: Viele Eltern werden unter Druck gesetzt ihr Baby einem Fremden zu auszuhändigen, der/die hinter verschlossener Tür das Baby festschnallt und ihm [lang und schmerzvoll fast immer ohne jedwede Betäubung] seine Vorhaut amputiert.

[Eine Praxis, die auch in unseren Breiten ihre Bewunderer hat. Um wohl für eine Beschneidung gesunder Jungen zu werben wird auf gewissen medizinischen Seiten oft darauf verwiesen, dass in den USA die Beschneidung aus "gesundheitlichen oder hygienischen Gründen" eine Standard-Operation sei. Dass die Einführung der Beschneidung anfangs ganz andere als medizinische Gründe hatte - nämlich die Eindämmung der Masturbation unter Jungen. Dass in Krankenhäusern männliche Neugeborene wie selbstverständlich ohne Wissen der Eltern beschnitten wurden, dass die Beschneidung bis heute fast immer ohne Betäubung durchgeführt wird, dass alle Krankheiten, die durch Beschneidung angeblich vermieden werden sollen, in den USA alle ausnahmslos viel häufiger sind als in Deutschland, Österreich und Europa, und ungefähr 200 Jungen jährlich an den direkten Folgen der Beschneidung sterben, viele andere infolge von Komplikation körperlich entstellt oder geistig geschädigt werden, wird dabei großzügig unterschlagen.]

Es ist bemerkenswert, dass in der ganzen US-amerikanischen Diskussion über die Beschneidung Informationen über die Vorhaut selbst fast gänzlich fehlen.

Die Massen-Beschneidungskampagnen der vergangenen Jahrzehnte haben zur pandemischen Unwissenheit über ihre bemerkenswerte Struktur und ihre vielfältige Rolle bei der menschlichen Sexualität geführt (9). [Auch in Deutschland und Österreich besteht oft eine gewaltige Unwissenheit über die Vorhaut, ihre einzigartigen Strukturen und ihre vielfältige Rolle beim Geschlechtsverkehr.] Unwissenheit und Falschinformation sind eher die Regel als die Ausnahme in der amerikanischen [wie auch der deutschsprachigen] medizinischen Literatur, Ausbildung und Praxis. Die meisten US-amerikanischen Lehrbücher stellen den menschlichen Penis, ohne jede Erklärung, als beschnitten dar, als ob er so von Natur aus wäre.

Quellen 

  1. T. J. Ritter and G. C. Denniston, Say No to Circumcision: 40 Compelling Reasons, 2nd ed. (Aptos, CA: Hourglass, 1996),6-20.
  2. "Incipit Libellus De Ecclesiasticis Disciplinis et Religione Christiana Collectus. Liber II.XC, XCI" in Patrologiæ Cursus Completus , vol. 132 (Paris: Apud Garnier Fratres, Editores et J. P. Migne Successores, 1880), 301-302.
  3. S. Grayzel, The Church and the Jews in the XIIth Century, vol. 2, ed. K. R. Stow (Detroit, MI: Wayne State University Press, 1989), 246-247.
  4. See Note 10, 17-40.
  5. M. F. Campbell, "The Male Genital Tract and the Female Urethra," in Urology, eds. M. F. Campbell and J. H. Harrison, vol. 2, 3rd ed. (Philadelphia: W. B. Saunders, 1970), 1836.