Diplomseminararbeit aus Medizinstrafrecht

Wintersemester 2011

Beschneidung bei Buben

von Michael Degele, Matrikelnummer 

Betreuer: Ao. Univ. Prof. MMag. Dr. Hannes Schütz

Inhalt

Allgemeines
I. Medizinische Grundlagen

II. Rechtliche Sicht

III. Kritik und Klarstellung
IV. Deutung der mangelhaften Strafverfolgung
Fußnoten
Literatur

Allgemeines

Die Beschneidung auch Zirkumzision genannt ist der chirurgische Eingriff zur teilweisen oder vollständigen Entfernung der Vorhaut, welche aus der Schafthaut (äußere Vorhaut) und der Schleimhaut (innere Vorhaut) besteht und normalerweise die Eichel des Penis umgibt. Die Beschneidung ist der am häufigst durchgeführte chirurgische Eingriff, der in den meisten Fällen nicht medizinisch notwendig ist und bei dem in den meisten Fällen nicht vom Betroffenen eingewilligt worden ist. Die Beschneidung bei Buben wird nicht nur in irgendwelchen entwicklungsbedürftigen Ländern praktiziert, sondern auch in Europa, obwohl die Beschneidung eine erhebliche psychische und körperliche Beeinträchtigung darstellt, allein die Ausheilungsdauer beträgt zwischen 2 Wochen und 2 Monaten. Dies macht es notwendig dieses Thema aus der rechtlichen Seite zu erforschen.

I. Medizinische Grundlagen

Funktion der Vorhaut

Die Vorhaut ist nicht ohne einen Zweck, sondern die Vorhaut oder auch Präputium genannt, erfüllt gleich drei Zwecke: Schutz, Gefühlsempfindungsschutz und erfüllt mehrere sexuelle Funktionen. Bis zum Kleinkindalter schützt die Vorhaut die Eichel vor Darmbakterien mit welchen die Eichel durch Stuhl in Kontakt kommen würde. Dieser Schutz wird durch die Verklebung zwischen Vorhaut und Eichel bewirkt. Während dem ganzen Leben schütz die Vorhaut die empfindliche Eichel vor Verletzungen. Das Empfindungsniveau wird durch die Vorhaut beibehalten, daher kann die Eichel mit einer relativ dünnen Eichelschleimhaut von 2 bis 3 Zellen auskommen, und dadurch wird die sensible Empfindung der Eichel beibehalten. Zum Vergleich, ein beschnittener Penis weist eine Eichelhornhaut von ca. 4 bis 16 Zellen auf und nimmt mit dem Alter weiter zu. 

Der Vorhaut kommt auch eine physiologische Funktion bei sexueller Aktivität zu (1). Bei einer Erektion fungiert die Vorhaut als eine Hautreserve. Beim Sexualakt stimuliert sie, empfindet und dient durch eine bewegliche Hauthülle als Dämpfung und Pufferung gegen unangenehme Reibung beim Sex und Analsex. Weiter dient die Vorhaut bei Masturbation als wichtiges Hilfsmittel. Durch zahlreiche sexuell empfindbare (20000) [Anmerkung beschneidung-von-jungen.de: es sind lt. etlichen Studien wohl eher 3.000 bis 10.000 Nervenenden] freien und spezialisierte erotogener Nervenenden erschiedenen Typen und die Meissnerschen Tastkörper, die sich in der Vorhaut befinden, ist die Vorhaut selber auch direkt für das Lustempfinden verantwortlich, die Empfindungsstärke ist vergleichbar mit den Lippen und den Fingerspitzen (2). 

Das Frenulum ist das Band zwischen Eichelunterseite und Vorhaut. Bei einer radikalen Beschneidung wird dieses Band auch meistens rausgeschnitten. Das Frenulum beinhaltet auch viele Nerven und spielt bei der sexuellen Empfindungssteuerung eine Rolle. Nach J.R Taylor ist das Frenulum unter anderem für sexuelle Lustgefühle durch leichtes Dehnen und Entspannen beim Sexualakt verantwortlich.

Natürliche Entwicklung der Vorhaut

Nach der Geburt sind die Schleimhautoberflächen der Vorhaut und der Eichel miteinander verklebt und die Vorhautspitze ist oft verengt, so dass ein Zurückziehen der Vorhaut nicht möglich ist. Dies ist der Normalbefund. Mit den Jahren löst sich die Verklebung und die Vorhautspitze weitet sich. 

Øster3 (1968) und Kayabas4 (1996) haben aufgrund ihrer Forschungen Tabellen aufgestellt, welche die Entwicklung der Zurückziehbarkeit der Vorhaut über die Eichel mit dem Alter aufweisen:

Nach J. Oster:
AlterGesamtanteil
nicht zurückziehbar
Gesamtanteil
zurückziehbar
6-777%23%
8-966%34%
10-1156%44%
11-1240%60%
13-1415%85%
16-175%95%

 

Nach Kayaba:
AlterGesamtanteil
nicht zurückziehbar
Gesamtanteil
zurückziehbar
0,5100%0%
196%4%
294%6%
3-483%17%
5-773%27%
8-1060%40%
11-1527,1%62,9%

 

Das Royal Children´s Hospital Melbourne gibt bei seiner Leitlinie an, dass die natürliche Zurückziehbarkeit der Vorhaut über die Eichel mit 18 Jahren bei 99 Prozent beträgt. Notwendige medizinische Behandlung Wie oben ersichtlich, liegt also in den meisten Fällen lediglich eine entwicklungsabhängige (physiologische) Vorhautverengung vor, welche keiner Behandlung bedarf, da es sich lediglich um ein harmloses vorübergehendes Entwicklungsphänomen handelt (5). Eine physiologische (nicht behandlungsbedürftige) Vorhautverengung ist, wenn die Vorhaut nicht zurückziehbar ist und es keine Beschwerden z.B. beim Wasserlassen gibt. Eine pathologische (behandlungsbedürftige) Vorhautverengung ist, wenn die Vorhaut nicht zurückziehbar ist und zusätzlich akute Beschwerden bei normal belastender Nutzung vorliegen. Selbst bei einer pathologischen Vorhautverengung ist ein chirurgischer Eingriff wie z.B. eine Beschneidung meistens nicht notwendig, da in bis zu 95% der Fälle eine Salbentherapie mit verschiedenen Wirkstoffen laut zahlreichen Studien6 zum heilenden Erfolg verhilft.

Beschneidungsarten

Unter den gängigen Beschneidungsstilen gibt es vier Möglichkeiten des Endergebnisses: Einmal kann unter der Narbe differenziert werden, daher ob die Narbe tief oder hoch liegt. Weiterhin kann nach der Straffheit unterschieden werden, daher zwischen straff und locker. Daher gibt es 1. hoch und straff, 2. hoch und locker, 3. niedrig und straff und 4. niedrig und locker. 

Bei einer hoch/straff Beschneidung befindet sich die Narbe auf dem Penisschafft und es gibt keine bewegliche Haut mehr, welche über die Eichel beim erigierten Zustand geschoben werden kann. Die Haut zwischen Eichel und Narbe ist ein Teil der inneren Vorhaut.

Bei einer hoch/locker Beschneidung liegt die Narbe am Penisschafft und es gibt noch etwas bewegliche Haut um meistens noch den hinteren Rand der Eichel zu stimulieren.

Bei einer niedrig/straff Beschneidung befindet sich die Narbe unmittelbar hinter der Eichel, es verbleibt fast keine innere Vorhaut, zusätzlich verbleibt im erigierten Zustand keine bewegliche Haut.

Bei niedrig/locker liegt der Unterschied zu niedrig/straff, dass etwas bewegliche Haut verbleibt, welche meistens ausreicht um den hinteren Rand der Eichel zu stimulieren. Von einer radikalen Beschneidung wird dann gesprochen, wenn im unerigierten Zustand die Eichel frei liegt. Bei einer Radikalbeschneidung wird das Frenulum meist entfernt.

Das Wissen über die unterschiedlichen Beschneidungsarten ist wichtig, da jede Beschneidungsform u.a. unterschiedliche Auswirkungen auf das sexuelle Empfinden hat.

Körperliche Folgen der Beschneidung

Beim männlichen Genital sind die Hauptteile des sexuellen empfindbaren Gewebes die Vorhaut, hauptsächlich die innere Vorhaut und die Vorhautspitze, die Eichel und das Frenulum. Je nachdem welcher Beschneidungsstiel und ob eine Teilbeschneidung oder eine Radikalbeschneidung durchgeführt wird, wird daher immer entsprechend viel sexuell empfindendes Gewebe entfernt. Bei einer radikalen Beschneidung muss davon ausgegangen werden, dass mindestens 30% des sexuell empfindbaren Gewebes entfernt wird. Weiter wird die sexuelle Empfindung der Eichel heruntergesetzt durch Wegfall der Vorhaut als Schutzhülle, welches eine Empfindungsreduzierung für Berührungen und Reibung auslöst und der Austrocknung der Eichel, welches eine Hornhautbildung zufolge hat. Auch die Steuerfunktion und die Empfindung des Frenulums geht, je nach Beschneidungsart verloren. Die Beschneidung hat dementsprechend eine Herabsetzung des sexuellen Empfindens auf allen 3 Komponenten des Penis zufolge, daher ist stark davon auszugehen, dass die sexuelle Gesamtempfindung beachtlich, daher qualifiziert heruntergesetzt wird (7).

„Die Beschneidung entfernt ein komplexes Gewebe, welches aus tausenden hoch spezialisierten Berührungsrezeptoren und Nervenfasern beinhaltet. Der Verlust an sexueller Empfindsamkeit undFunktion ist der Menge an entfernter Vorhaut proportional; eine straffe Beschneidung, die die Bewegung der Vorhaut während des Geschlechtsverkehrs und anderen sexueller Aktivität verhindert ist besonders schädigend, Männer die als Säuglinge beschnitten wurden, sind sich darüber vielleicht nicht bewusst, aber viele Männer die als Erwachsene beschnitten wurden berichten über einen definitiven Verlust an Empfindlichkeit und Funktionalität.“(8)

Falliers beschrieb es bereits 1970 sehr deutlich:

„Das sensorische Vergnügen, das durch die taktile Stimulation der Vorhaut ausgelöst wird, ist nach ihrer chirurgischen Entfernung beinahe vollkommen verloren. Die Oberfläche der entblößten Eichel hat, wie wir wissen, keine Fähigkeit zum Empfang oder zur Übertragung irgendwelcher, leichten Berührungsempfindungen, Wärmeempfindungen, usw. Folglich, wird der fundamentale sexuelle Akt, für den beschnittenen Mann, einfach eine Befriedigung eines Triebs und nicht das verfeinerte sinnliche Erlebnis, das es eigentlich sein sollte“ (9)

Eine Beschneidung wird als eine an sich schwere Verletzung zu werten sein. Bei der Beurteilung stellt ein Sachverständiger die Tatsachen fest, bewertet werden diese dann von einem Richter. Hierbei sind zu beachten; Wichtigkeit und Funktion des Organs, Intensität und Ausmaß der Krankheitserscheinung (Schmerzen, Funktionsbeeinträchtigung), Gefährlichkeitsgrad der Verletzung. In der Rechtsprechung werden z.B. Knochenbrüche in der Regel als eine an sich schwere Verletzung gesehen und auch der Verlust von mehreren Zähnen stellt eine an sich schwere Körperverletzung dar. Wie oben beschrieben wird durch die Funktionsbeeinträchtigung und der körperlichen Folgen eine an sich schwere Verletzung zu qualifizieren sein.

Psychische Folgen der Beschneidung

Um die psychologischen Folgen hier festzustellen gibt es zu wenige wissenschaftliche Studien. Weiter sind die vorhandenen Studien nicht aussagekräftig, da bei einer Untersuchung zu viele verschiedene Komponenten vorliegen, wie z.B. kulturelle-, wirtschaftliche-, politische Einflüsse auf die Kriminalität. Beachtet werden sollte jedoch, dass wenn der Betroffene einmal feststellt, dass ohne seine Einwilligung etwas von seinem Körper, und noch dazu von seiner Männlichkeit entfernt worden ist, dass dies zu Wut und einem Gefühl der Ohnmacht führen kann. Sollte sich der Betroffene an die Beschneidung erinnern können, so ist der teilweise Verlust der Fähigkeit anderen Menschen vertrauen zu können, eine mögliche Folge. Das gleiche gilt, wenn der Betroffene einmal feststellt, dass seine Zustimmung zur Beschneidung unter einem Vorwand erwirkt wurde oder im Stich gelassen wurde, da die Bezugsperson den Betroffenen bzw. das Kind nicht geschützt hat und sich daher ausgeliefert fühlt, so wird das Band des Vertrauens in die Bezugsperson, den Eltern, und anderen Menschen Verlust erleiden können. Es sollten auch die Folgen für die Gesellschaft bedacht werden. Wächst ein Kind in einer Gesellschaft auf, in welcher die körperliche Unversehrtheit nicht nur gesetzlich, sondern auch faktisch gewährleistet wird, so wird der spätere Erwachsene sich aufgrund der Erziehung und der Einwirkung derGesellschaft eine hohe Hemmschwelle für eine Übertretung dieser Regeln haben. Im Gegensatz zu einem Erwachsenen, welcher in seiner Kindheit in seiner körperlichen Unversehrtheit eingegriffen wurde ohne dass dies von der Gesellschaft geächtet und geahndet wurde, so wird die Hemmschwelle dementsprechend niedriger sein, um in die körperliche Unversehrtheit anderer einzugreifen. Dieser Grundgedanke wird in den meisten zivilisierten Staaten bedacht, z.B. bei den Milderungsgründen im Strafgesetzbuch und vom Richter selber aufgrund gesellschaftlicher akzeptierte Milderungsgründen10. Wenn daher einem Menschen während seiner Kindheit in seiner körperlichen Unversehrtheit eingegriffen wurde, ohne dass er zugestimmt hat oder die Folgen gar nicht oder nur unzulänglich erkennen konnte oder bei den Folgen belogen wurde, so ist zu befürchten, dass die Hemmschwelle niedriger ist um gegen das Strafgesetzbuch zu verstoßen. Die Folgen einer solchen Beschneidung können daher eine höhere Kriminalität zufolge haben. Ein gewisser Zusammenhang zwischen den Ereignissen, welche ein Mensch in seiner Kindheit ausgesetzt wird und seinem Verhaltensmuster im Erwachsenenalter kann nicht geleugnet werden.

II. Rechtliche Sicht

Rechtliche Grundkenntnisse

Vorab ist ggf. zwischen Körperverletzung und Heilbehandlung zu unterscheiden. Nach herrschender strafrechtlichen Meinung in Österreich, verwirklicht eine Heilbehandlung den Tatbestand der Körperverletzung nicht, wenn die Heilbehandlung aufgrund medizinischer Indikation, daher medizinisch notwendig ist, und lege artis, nach dem Stand der Wissenschaft, durchgeführt worden ist (11).

Diese Auffassung ist nicht anzuwenden, da es die Anwendung des Strafrechts unnötig verkompliziert und das Strafrecht durch das Regel-Ausnahme-Prinzip auf logischer Weise Anwendung findet. Nach dem Regel-Ausnahme-Prinzip gilt als Regel ein tatbestandliches Handeln, daher eine Handlung, welche auf den Tatbestand passt, als unrecht und jene Konstellation, welche den erfüllten Tatbestand durch einen Rechtfertigungsgrund billigt, gilt als Ausnahme. Diese Regel entspricht nicht nur der Definition der Rechtfertigungsgründe, sondern auch dem strafrechtlichen Fallprüfungsschema (12). Es wird daher wie in Deutschland jeder vorsätzliche Eingriff, welcher einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt auf der Tatbestandsebene als Körperverletzung eingestuft. Auf der Rechtfertigungsebene wird die Heilbehandlung sodann gerechtfertigt, wenn der Eingriff medizinisch indiziert ist und lege artis durchgeführt wird (13). Eine medizinisch indizierte und lege artis durchgeführte, aber eigenmächtig vorgenommene Heilbehandlung, daher ohne die Einwilligung des Patienten, wird in Österreich als Freiheitsverletzung nach § 110 StGB strafbar (14).

Klassifizierung der Beschneidung aus rechtlicher Sicht

Grundsätzlich ist eine Beschneidung, sei es eine Teilbeschneidung oder eine Radikalbeschneidung tatbestandlich als Körperverletzung zu qualifizieren, da die teilweise oder vollständige Entfernung der Vorhaut einen nicht nur unerheblichen Substanzverlust darstellt und der Eingriff in das Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit eines anderen eingreift (15). Eine Körperverletzung ist nicht rechtswidrig, wenn der Eingriff gerechtfertigt ist. Die wirksame Einwilligung des Betroffenen/Patient in den Eingriff stellt ein Rechtfertigungsgrund dar, so dass die Beschneidung nicht rechtswidrig ist. Es kann nicht nur in einen medizinischen indizierten Eingriff eingewilligt werden, sondern auch in einen nicht medizinischen indizierten Eingriff. Zu beachten ist jedoch, dass nicht in jede Körperverletzung eingewilligt werden kann, widerspricht ein Eingriff den guten Sitten, ist daher die Einwilligung ohne rechtliche Wirkung und der nicht medizinisch indizierte Eingriff strafbar (§ 90 StGB) (16).

Weiter muss die Einwilligung des Betroffenen bzw. des Patienten von einem einwilligungsfähigen Menschen abgegeben werden. Die Einwilligungsfähigkeit in die Beschneidung ist abhängig von der Einsichtsfähigkeit. Die Einsichtsfähigkeit ist die Fähigkeit, die Bedeutung, das Wesen, die Gefahren, als auch die Tragweite der Entscheidung zu erkennen und seinen Willen hiernach auszurichten. Liegt die Einwilligungsfähigkeit rechtlich nicht vor, wie z.B. bei einem Kleinkind, kann die Einwilligung von dem Inhaber der Personensorgeberechtigung abgegeben werden, das sind dann die Eltern oder ein sonstiger Erziehungsberechtigter. Die Ausübung der Einwilligung ist für Deutschland nach § 1627 Satz 1 BGB und für Österreich nach § 137 ABGB “zum Wohle des Kindes“ gebunden. Willigen die Eltern in den Eingriff ein, jedoch nicht zum Wohle des Kindes, so sind die Eltern nicht dispositionsbefugt, daher ist die Einwilligung unwirksam. Damit der Eingriff im Wohl des Kindes liegt, muss der Eingriff logischerweise im Interesse, daher vorteilhaft für den Betroffenen sein. Hat der Eingriff Vor- u. Nachteile, so muss daher durch eine Güterabwägung die Vorteile für den Eingriff überwiegen. Zu beachten ist jedoch, dass es auch höchstpersönliche Rechte gibt. Bei den höchstpersönlichen Rechten kann nur der Betroffene selber die Einwilligung erteilen, daher ist eine rechtlich wirkende Einwilligung des Personensorgeberechtigten nicht möglich. Dass ein Eingriff in die sexuelle Empfinden als Eingriff in ein höchstpersönliches Recht zusehen ist, spricht dass die Rechte auf Persönlichkeitsentfaltung und körperliche Unversehrtheit, und daher die sexuelle Empfindung, so stark mit dem Berechtigten verbunden ist, dass diese Rechte, nur im Betroffenen selber seine Bestimmung finden und nur für den Betroffenen einen Sinn ergibt. Sieht man eine Beschneidung als Eingriff in ein höchstpersönliches Recht, so würde dies bedeuten, dass nur das Kind selber und nicht die Eltern einem Eingriff in die sexuelle Empfindung, wie zB einer Beschneidung rechtlich wirkend zustimmen kann.

Liegt die Einsichtsfähigkeit noch nicht vor, kann daher auch das Kind selber noch nicht einwilligen, selbst wenn der Eingriff medizinisch unbedingt unaufschiebbar ist (17). Nach meiner Ansicht ist die Einwilligung in eine Beschneidung als ein höchstpersönlichähnliches Recht zusehen, welches zwangsläufig im Interessenkonflikt von Leben und Gesundheit lediglich bei einer dringenden medizinisch notwendigen Beschneidung von dem Personensorgeberechtigten ausschließlich zum Wohle des Kindes auszuführen ist, da sonst der Sinn und Zweck des Rechts auf höchstpersönliche Einwilligung in eine Beschneidung sinnlos wird, wenn es mit dem Recht auf Leben und der Gesundheit zuwiderläuft. Eine weitere Einschränkung würde den höchstpersönlichen Charakter aushöhlen, so dass es den höchstpersönlichen Recht Sinn und Zweck entzieht. In allen anderen Fällen ohne Wahrung der Interessen von Leben und der Gesundheit kann die Einwilligung ausschließlich vom Patient selber erteilt werden, und dies nur wenn die notwendige Einsichts- und Urteilsfähigkeit vorliegt.

Die Einwilligung oder die Verweigerung in eine medizinische Heilbehandlung oder in einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit ist ein Recht eines Menschen auf Selbstbestimmung. Bei einem mündigen Minderjährigen, ab dem 14. Lebensjahr bis Vollendung des 18. Lebensjahr, wird im Zweifel das Vorliegen der Einsichts- und Urteilsfähigkeit für eine Einwilligung vermutet, § 146c Abs. 1 ABGB. Willigt ein solcher mündiger Minderjähriger in eine Behandlung ein, welche gewöhnlich mit einer schweren oder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit verbunden ist, so darf die Behandlung nur vorgenommen werden, wenn der Sorgerechteberechtigter zustimmt § 146c Abs 2 ABGB. Schwer ist die Beeinträchtigung, wenn sie den Grad einer schweren Körperverletzung iSd § 84 StGB erreicht (18). Nachhaltig ist eine schwere und auch eine nicht veränderbare Beeinträchtigung, auch durch eine kosmetische Operation (19). Eine Beschneidung ist eine solche nachhaltige Beeinträchtigung, da sie nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Zusätzlich ist auch eine nachhaltige Beeinträchtigung in die Persönlichkeit zusehen, da die Beschneidung nachhaltigen Auswirkungen auf die Sexualität hat.

Ist daher eine Beschneidung akut medizinisch notwendig, so ist bei Vorliegen der Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Betroffenen die Einwilligung von diesem einzuholen. Handelt es sich um einen mündigen Minderjährigen, so ist zusätzlich die Zustimmung des Sorgeberechtigten erforderlich. Liegtdie Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Betroffenen nicht vor, so muss der Sorgeberechtigte einwilligen.Allerdings ist stark davon auszugehen, dass ein mündiger Minderjähriger, die Einsichtsfähigkeit für eine Beschneidung gar nicht hat, da er die Tragweite des Eingriffs nicht erkennen kann. Ein unter 18 Jähriger fehlt es schlicht weg an Wissen und der notwendigen Erfahrung über die Funktion seines Penis, weiter ist die körperliche Ausreifung noch in der Abschlussphase und die Komplexität der Tragweite wird ihm durch die fehlende geistige Festigung der Reife und die mangelhafte Erfahrung nicht zugänglich sein.

Eine Einwilligung ist nur rechtswirksam, wenn sie mängelfrei ist. Daher muss sie ernstlich und freiwillig sein und darf keine gravierenden Willensmängel haben. Liegt Zwang, Drohung, Täuschung, oder eine unvollständige Aufklärung vor, so ist die Einwilligung idR unwirksam (20). Besonders ist daher bei einem unter 18 Jährigen zu beachten, das seine Einwilligung frei von Beeinflussung z.B. durch die Eltern sein muss, ist zu befürchten, dass die Eltern die Willensbildung beeinflussen, etwa durch die Unselbstständigkeit, Leichtbeeinflussbarkeit und Abhängigkeit des Kindes von den Eltern, so ist die Beschneidung vom Arzt bereits allein wegen der Beeinflussung abzulehnen, wenn keine dringende medizinische Notwendigkeit vorliegt.

Die Eltern alleine können wegen dem höchstpersönlichähnlichen Charakters des Rechts auf Selbstbestimmung nicht ohne Zustimmung des Kindes über eine Beschneidung des Kindes entscheiden, wenn kein dringlicher medizinischer Grund vorliegt. Zum gleichen Ergebnis erlangt man, wenn man die Einwilligungsfähigkeit betrachtet. Dies wird in Bezug deutlich, wenn man die rechtswissenschaftlichen Vertretungsregelungen betrachtet. Wie oben beschrieben, ist die Einwilligungsfähigkeit von der Einsichtsfähigkeit und nicht von der Geschäftsfähigkeit und auch nicht von dem Recht auf Religionswahl abhängig. Die benötigte Einsichtsfähigkeit ist wiederum die Fähigkeit, die Bedeutung und die Tragweite der Entscheidung (hier der Beschneidung) zu erkennen und seinen Willen hiernach auszurichten. Da der unter 18 Jährige die Tragweite der Beschneidung nicht erkennen kann, siehe oben, so muss der Vertreter, meist die Eltern, dieses Defizit ausgleichen. Ein anderer als der Betroffene selber, also auch die Eltern, können diese benötigtes Defizit aber gar nicht ausgleichen, da sie die Tragweite der Entscheidung für das Kind nicht erkennen können. Sie können es nicht erkennen, da sie über die sexuelle Entwicklung des Kindes nicht bescheid wissen und auch nicht wissen, welche sexuellen Praktiken das Kind im Erwachsenenalter haben will. Weiter hat die Beschneidung höchstpersönliche Auswirkungen auf den Betroffenen, daher handelt es sich um eine persönliche Präferenz, dadurch kann nur der Betroffene selber dem Eingriff persönlich zustimmen.

Liegt jedoch ein dringender medizinischer Grund vor, wie z.B. eine echte Vorhautverengung und haben andere leichtwiegende Behandlungsalternativen versagt und liegen Schmerzen vor, so können die Eltern bzw. ggf. auch der unter 18 Jährige sehr wohl rechtlich einwilligen, da hier zwischen

Schmerzen und Heilung abzuwägen ist, und in diesem speziellen Fall die Tragweite der Entscheidung erkennbar ist, nämlich Schmerzen des Kindes oder der Aussicht auf Heilung. Aber auch hier ist wiederum zu beachten, dass die ausnahmsweise Einwilligungsbefugnis beschränkt auf den unter Abwägung von Erfolg des Eingriffs und den Auswirkungen des Eingriffs auf den Körper und die Persönlichkeit der verschiedenen Eingriffsarten ist. Liegen daher mehrere chirurgische Eingriffsarten mit gleichem heilenden Erfolg zur Verfügung vor, wie z.B. Erweiterungsplastik, unterschiedliche Beschneidungsarten, so ist die außerordentliche Einwilligungsbefugnis auf die wenigste weitreichende Beeinträchtigung beschränkt. Daher ist z.B. das Frenulum möglichst zu belassen, um so den Gefühlsverlust gering zu halten.

Die einzelnen Beschneidungsgründe aus rechtlicher Sicht

Im Folgenden werden die einzelnen Beschneidungsgründe aus rechtlicher Sicht behandelt. Zu beachten ist hier jedoch das die einzelnen Gründe oft ineinander greifen und daher nicht ganz isoliert zu betrachten sind. In der Praxis werden auch oft medizinische Gründe vorgebracht um den wahren Grund zu legitimieren oder gar zu verdecken. Folgt man dem höchstpersönlichen Charakter des Rechts auf Selbstbestimmung, so sind nur noch Beschneidungsgründe, welche einen medizinischen Grund haben nach dem Kindeswohl zu prüfen. Um hier der Vollständigkeit gerecht zu werden, werden jedoch auch alle nicht medizinischen Gründe auf das Wohl des Kindes geprüft.

Ästhetische Gründe

Wie bereits erwähnt kann dem Inhaber der Personensorge die Einwilligung für den Eingriff der Beschneidung wenn überhaupt nur unter bestimmten Voraussetzungen erteilen, dies nur zum Wohle des Kindes. Der Geschmack der Eltern ist hier nicht ausschlaggebend. Da der Geschmack höchst subjektiv ist, werden die Eltern ihren Geschmack nicht mit dem Geschmack des Kindes gleichsetzen können, selbst wenn das Kind seinen Geschmack dartut, da es z.B. wie sein Vater aussehen will oder er sich seinem Freundschaftskreis anpassen will. Auch die Manipulationsmöglichkeit der Eltern auf das Kind muss bedacht werden. Da das Kind sich in einer, und zwar die gesamte Kindheit, in einem Entwicklungsprozess befindet und sich selbst und seinen Geschmack erst noch finden muss, so muss mit großer Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden, dass sich der Geschmack im Laufe der Kindheit erst noch einstellen muss und daher eine im Zeitpunkt der Kindheit liegenden Entscheidung zum Wohle des Kindes noch gar nicht getroffen werden kann, da das Kind keinen Nutzen durch eine Beschneidung hat. Da die Beschneidung nicht mehr rückgängig gemachte werden kann, muss ein hohes Maß an der Auslegung des Wohles des Kindes angelegt werden. Ein ästhetischer Grund für eine Beschneidung greift dieser Auslegung schon allein am Wohl des Kindes nicht. Daher ist die Einwilligung der Eltern in eine Beschneidung aus ästhetischen Gründen nicht möglich. Der Arzt der die Beschneidung durchführt macht sich strafbar.

Hygienische Gründe und krankheitsvorbeugende Gründe

Bei dem hygienischen Grund wird vorgebracht, dass sich Dreck und Bakterien zwischen Vorhaut und Eichel ansammeln und bei einem beschnittenen Penis dies so nicht passiert. Ein Eingriff in die körperliche Integrität durch eine Beschneidung steht in keinem Verhältnis zur leicht möglichen regelmäßigen Körperpflege. Daher kann eine Beschneidung nicht im Kindeswohl liegen, da immer zwischen den Vor- und Nachteilen abgewogen werden muss und hier die Nachteile erheblich wiegen

Medizinisch indiziert ist ein Eingriff auch dann, wenn er zur Verhütung einer Krankheit beiträgt. Allerdings muss zwischen dem Nutzen und den Nachteilen abgewogen werden. Überwiegen die Nachteile oder überwiegt der Nutzen nur unerheblich, so ist der Eingriff nicht medizinisch indiziert. In Frage kommen daher verschiedene Krankheiten, welche hier in 3 Gruppen unterteilt werden: Direkte Erkrankung, Geschlechtskrankheiten, Krankheiten auf Dritte: In Frage kommt u.a. Peniskrebs. Die Wahrscheinlichkeit an einer schweren Krankheit, welche stärker oder gleich wiegt wie eine Beschneidung, daher eine Beschneidung gerechtfertigt und mit einer Beschneidung vorgebeugt werden kann, zu erkranken, ist verschwindend gering, so dass die Nachteile einer vorbeugenden Beschneidung erheblich überwiegen. Daher ist eine Beschneidung als Vorbeugung nicht medizinisch sinnvoll und unterliegt daher keiner medizinischen Rechtfertigung, da Nachteile und Gefahren zum Nutzen in keinem Verhältnis stehen. Eine Krankheiten, welche sich ggf. auf Dritte auswirken könnte wäre z.B. Gebärmutterkrebs. Nach einigen Studien soll eine Beschneidung das Risiko an Gebärmutterkrebs senken. Diese Studien werden von anderen Studien widerlegt. Im Übrigen beinhaltet die Einwilligungsmöglichkeit der Eltern nicht die Einwilligungsmöglichkeit zum Wohle einer 3. Person einzuwilligen. Daher ist bereits eine weitere rechtliche Prüfung entbehrlich. Beachtet werden sollte jedoch, wie oben beschrieben, dass der anteilige Nutzen einer Vorbeugung auch hier nicht den Nachteil einer Beschneidung gerechtfertigt. 2007 hat die Weltgesundheitsorganisation als Vorbeugungsmaßnahme gegen HIV-Infektionen die Beschneidung empfohlen. Diese Empfehlung wurde auf Studien aus Kenia und Uganda gestützt. Diesen Studien deuten darauf hin, dass das Infektionsrisiko bei beschnittenen heterosexuellen Männern etwa 50 Prozent geringer wäre als bei unbeschnittene Männern. Diese Ergebnisse sind stark in Frage zu stellen, da die Ergebnisse auch bereits darauf zurückführen sein können, dass die beschnittenen Männer durch die Eindämmung der Sexualaktivität in Folge der Beschneidung sich während der Studiendauer weniger infiziert haben. Nach Circumcision-Information-Australia wurden die beschneidungsfreundlichen Studien gewöhnlich in armen und unterentwickelten Länder durchgeführt und berücksichtigen nicht persönliche Hygiene, komplexe gesellschaftliche Bräuche, Bildungsniveau, medizinische Versorgung, traditionelle Sexualpraktiken und die genetischen Faktoren die für die Infektionskrankheiten mit zu berücksichtigen wären. Studien die in industrialisierten Nationen wie Australien durchgeführt wurden, stellen fest, dass das Risiko bei einer sexuell übertragbaren Krankheit durch eine Beschneidung nicht reduziert ist. Im Gegenteil gibt es sogar Studien, dass die Beschneidung das Risiko für manche sexuell übertragbaren Krankheiten, wie z.B. Gonorhoe (Tripper) erhöht. So erklärte z.B. die Australische Föderation der HIV Organisation, dass die Beschneidung bei der Eindämmung von HIV keine Rolle in Australien spielt. Wissenschaftlich überprüfende Studien, die die Krankheitsvorbeugung durch Beschneidung überprüfen, kommen zu dem Schluss, dass die Behauptungen, dass eine Beschneidung sexuell übertragbare Krankheiten reduzieren würde, einer wissenschaftlichen Prüfung nicht standhalten (21). 

Für Europa ist eine Beschneidung als Präventionsmaßnahme gegen sexuell übertragbare Krankheiten, wie HIV nicht medizinisch begründet, da bereits die Wahrscheinlichkeit für eine Neuinfektion zu gering ist um einen solchen heftigen Eingriff rechtzufertigen. Weiterhin gibt es in den fortgeschrittenen Ländern, daher alle außer den Entwicklungsländern, andere Vorbeugemaßnahmen mit deutlich besseren Erfolgschancen als 50%, nämlich die Verwendung von Kondomen oder einen vorigen HIV-Test, sowie Treue.

Im Übrigen ist noch zu beachten, dass eine Beschneidung als Vorbeugemaßnahme bei sexuell übertragbaren Krankheiten bei Kindern gar nicht rechtlich greifen kann, da diese nicht sexuell aktiv sind und daher auch nicht gefährdet sein können. Des weiteren muss sich der Betroffene einer bestimmten Ansteckungsgefahr selber aktiv aussetzten, sodass bei einer Beschneidung als Vorbeugemaßnahme noch höhere Anforderungen gestellt werden. 

Sexuelle Promiskuität und ungeschützter Geschlechtsverkehr stellen weitaus ein größeres Risiko dar. Eine Beschneidung zur Vorbeugung einer bis jetzt bekannten Krankheit ist daher nicht gerechtfertigt, da kein signifikanter Vorteil vorliegt, welcher im Kindeswohl liegen könnte. Daher ist eine Einwilligung des Personensorgeberechtigten nicht dispositionsbefugt, dies bewirkt, dass die Einwilligung unwirksam ist und kein Rechtfertigungsgrund darstellt. Der Arzt der eine Beschneidung trotzdem durchführt macht sich strafbar.

Beschneidung wegen Erkrankung

Die behandlungsbedürftige Vorhautverengung wird die am häufigsten auftretende Krankheit sein, welche eine Heilbehandlung indiziert. Weitere Krankheiten wären eine chronische oder rezidivierende Entzündung der Eichel oder eine Harnwegsentzündung, welche jedoch extrem selten eine Beschneidung begründet. Liegt kein milderes Mittel als die Beschneidung zur Behandlung vor und ist die Behandlung in der Kindheit notwendig, da das Kind z.B. unter Schmerzen leidet, so liegt die Beschneidung im Wohl des Kindes und eine Einwilligung, des Personensorgeberechtigten und ggf.

des Eingriffes ist in diesen extrem seltenen Fällen gültig und dadurch ist die Beschneidung rechtfertigend. Der Arzt geht straffrei aus. In den meisten Fällen bei denen eine Vorhautverengung diagnostiziert wird, liegt keine medizinische Indizierung vor. Es muss nämlich zwischen einer pathologischen Vorhautverengung und einer physiologische Vorhautverengung unterschieden werden, da nur die pathologische Vorhautverengung behandlungsbedürftig ist. Eine physiologische Vorhautverengung ist normal und bedarf keiner Heilbehandlung. Da eine Salbentherapie in bis zu 95 Prozent der Fälle einer pathologischen Vorhautverengung, siehe oben, zu eine Heilung mit gleichem Erfolg ohne die Nachteile einer Beschneidung verspricht, muss eine solche Therapie ohne Erfolg angewendet worden sein, um eine Beschneidung medizinisch zu indizieren. Daher kann der bezweckte Erfolg der Heilung durch eine weniger intensive Behandlung als eine Beschneidung erreicht werden, so ist eine Beschneidung nicht im Wohl des Kindes. Wenn ein Arzt keine Salbentherapie vor der Beschneidung ansetzt, obwohl eine geeignete Salbentherapie versucht werden kann, so ist die Beschneidung nicht medizinisch indiziert, die Einwilligung der Eltern in die Behandlung nicht wirksam und folge dessen das ärztliche Handeln strafbar.

Zur Pflicht des Arztes gehören u.a. auch die Aufklärungspflichten, diese umfassen vor allem die Informationen über: die Krankheit, die die Behandlung notwendig macht, und ihren zu erwartenden Verlauf; Art und Ablauf der geplanten Behandlung; die mit ihr verbundenen Risiken und mögliche Folgen; sowie mögliche Behandlungsalternativen (22). Klärt der Arzt nicht über alternativ Behandlungen, wie zB Salbentherapie auf, dh verschweigt der Arzt solche Möglichkeiten, hat dies zur Folge, dass die ggf. erteilte Einwilligung nicht rechtlich wirken kann. Die Behandlung erfolgt rein rechtlich gesehen ohne Einwilligung. Es spielt keine Rolle, ob dem Arzt die alternativen Behandlungen bekannt waren oder nicht.

Das Vorhautbändchen spannt leicht im erigierten Zustand, dieses leichte Spannen ist der Normalbefund, um seine Aufgabe der Lustempfindung voll erfüllen zu können. Bei einem zu kurzen Band ist der Eingriff medizinisch indiziert. Es gibt 4 Behandlungsmöglichkeiten: die teilweise- und vollständige Durchtrennung des Bandes (Frenulotomie), die Verlängerung des Bandes mit Eigenhaut (Frenuloplastik) und die Entfernung des Bandes (Frenulektomie) und die Beschneidung. Da immer die schonende Behandlung Vorrang hat und dies auch sinnvoll ist, da in jeder Stufe die sexuelle Empfindung irreversibel und unnötig runtergesetzt wird, handelt es sich nur dann um eine Heilbehandlung. Wird eine medizinisch unnötige Behandlung, eine Behandlung nicht nach dem Stand der Wissenschaft oder nicht die schonenste Behandlung vorgenommen, so handelt es sich um keine Heilbehandlung.

Traditionelle Beschneidung

Da die traditionelle Beschneidung die religiöse Beschneidung oft überlappt, werden hier lediglich die traditionellen Elemente behandelt. Die traditionelle Beschneidung wird aus kulturellen Gründen zelebriert. Hierbei steht meist der Übergang vom Kind zum Mann im Vordergrund, die Beschneidung wird mehr oder weniger mit einer Zeremonie und durch einen Leihen durchgeführt, meist ohne Betäubung. Die Beschneidung hat bei den traditionellen Beschneidungskulturen auch oft gesellschaftliche Auswirkungen, so ist es z.B. bei einigen afrikanischen Stämmen naturbelassenen Männern nicht erlaubt bei beschnittenen Männern am gleichen Tisch zu essen. Die herrschende Lehre der Rechtswissenschaften sieht Handlungen, welche den Tatbestand objektiv erfüllen, aber seit langem gesellschaftlich als üblich, allgemein akzeptiert, sozial unauffällig, oder normal angesehen werden, als nicht formal tatbestandsmäßig an, dies wird mit dem Begriff Sozialadäquanz bezeichnet (23).

Eine Beschneidung ohne einen medizinischen Grund, kann allein schon deshalb nicht als sozialadäquat gesehen werden, weil es in europäischen Gesellschaften, wie zB in Deutschland, Österreich und der Schweiz nicht allgemein gebilligt wird, dass ein Eingriff in die spätere sexuelle Empfindung eines Kindes vorgenommen wird und vom allgemein Rechtsempfinden des

Allgemeinbürgers von der Staatsgewalt erwartet wird, einen solcher Eingriff in die sexuelle Empfindung zu bekämpft.

Religiöse Beschneidung

Auch bei der religiösen Beschneidung ist zu fragen, ob der Eingriff dem Kindeswohl entspricht, wenn es einen medizinischen Grund, zB Abwehr von psychischen Schäden gibt, daher ist zu prüfen, ob die Vorteile die Nachteile, z.B. seelische Störungen, überwiegen. Daher sind im ersten Schritt die Vorteile für eine religiöse begründende Beschneidung festzuhalten. Ein Argument für die Beschneidung könnte angeführt werden, dass bei einem Kind, wenn es naturbelassen bleibt, und daher bei diesem die Beschneidung als Religionsbestätigung und als Religionsverpflichtung nicht durchgeführt wurde, ein seelischer Schaden dem Kind droht, da die Glaubensgemeinschaft das Kind nicht als vollwertig ansieht, und daher zumindest eine teilweise Ausgrenzung des Kindes aus der Religionsgemeinschaft bewirkt wird. Der Personensorgeberechtigte darf in einen Eingriff zur Verhütung später entstehender seelischer Störungen einwilligen, dies ist z.B. bei der Einwilligung für einen Eingriff gegen abstehenden Ohren der Fall. Dies kann jedoch im Fall einer Beschneidung nicht greifen, da schon bereits eine Vorhaut am Penis der Normalbefund ist und nicht dem normalen natürlichen Aussehen widerspricht. Im übrigen, selbst wenn ein naturbelassener Penis in einer Gesellschaft mit beschnittenen Penissen 

Angriffsfläche für seelische Störungen bieten würde, so wäre, wie oben beschrieben, auch abzuwägen zwischen den Vorteil und den Nachteilen, welche in einem körperlichen Angriff, wochenlangen Schmerzen, seelischen Störungen (aufgrund der Hilflosigkeit gegen die Körperverletzung) und die erhebliche Herabsetzung der sexuellen Empfindung (und die darauf folgenden seelischen Störungen) bestehen. Daher kann auch hier durch die Abwägung der Vor- und Nachteile eine Entfernung einer gesunden Vorhaut nicht im Wohl des Kindes liegen. 

Auch ist zu beachten, dass der Gleichheitsgrundsatz gilt, daher ist das Milieu eines Kindes nicht bei der Abwehr von Gefahren eines Kindes ausschlaggebend, da sonst das Milieu des Kindes entscheiden würde, ob den minderjährigen Mitgliedern Schäden am Körper zugefügt werden dürfen oder nicht.

In Betracht für eine Beschneidung wegen religiösem Hintergrund kommt nur noch die Religionsfreiheit mit dem Recht auf Religionsausübung und dem Recht der Eltern auf weitgehend selbstbestimmte Erziehung. Diese Rechte beziehen sich auf die innere Einstellung, das Gewissen und der Weltanschauung des einzelnen Gläubigen. Eine körperliche Beeinträchtigung in einen anderen wird von diesen Rechten nicht erfasst.

Sollte es eine Religion geben oder eine solche entstehen, welche eine nachhaltige körperliche Veränderung verbietet, da es zB eine unverzeihliche Sünde sei, seinem Schöpfer einen Fehler zu unterstellen, so verstößt die von den Eltern bewirkte Beschneidung gegen die Religionsfreiheit des späteren Erwachsenen, wenn er später einer solchen Religion beitreten will, daher wiegt die Gewährung der späteren Religionsfreiheit des Kindes stärker als die jetzige Religionsausübung durch die Eltern. Weiterhin gilt, wie oben beschrieben, der höchstpersönliche Charakter über die körperliche und sexuelle Selbstbestimmung.

Das Recht auf Religionsausübung ermöglicht nicht Straftaten zu begehen, da die Religionsausübung nicht ungehindert ausgeführt werden darf, siehe für Deutschland Art. 140 GG, Art. 136 WRV und für Österreich Art. 14 Staatsgrundgesetz. Danach bleiben die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten aufrecht und werden durch die Religionsausübung nicht aufgehoben. Daher grenzt der Staat rechtlich legitim sehr wohl das Recht auf ungestörter Religionsausübung ein. Sollte eine fiktive Religion ihren Gläubigen verpflichten einem Dieb die Hand abzuschlagen, so wird dieser Religionsausübungsakt vom Staat verwehrt. Auch im Fall, dass eine Religion das Recht oder die Pflicht gibt, einen Ehrenmord zu begehen, so wird dies vom Staat verwehrt. Viel anders verhält es sich bei der Beschneidung nicht, eine Religion berechtigt oder verpflichtet ihren Gläubigen ein gesundes Körperteil zu entfernen, eine verpflichtende oder empfohlene Beschneidung durchzuführen. Angemerkt sei noch, dass die Religion oft Geborgenheit und Trost gibt, weshalb die Belange der Religion ernst zu nehmen sind, jedoch ist es nicht Aufgabe der Rechtswissenschaftler und der staatlichen Organe schwere Körperverletzung aufgrund religiöser Gebote zu legitimieren oder nicht zu ahnden.

Ergebnis

Eine Beschneidung von Minderjährigen ist ausnahmsweise und nur unter strengen Voraussetzungen bei einer Heilbehandlung straffrei. In allen anderen Fällen ist eine Beschneidung von Minderjährigen strafbar, da einerseits die Einwilligung in den Eingriff durch die höchstpersönliche Präferenz nicht gegeben werden kann und andererseits weil der Eingriff nicht im Kindeswohl liegt. In den meisten Fällen ist daher eine Beschneidung bei Minderjährigen als eine Körperverletzung strafbar. Da es sich um eine “an sich schwere Verletzung“ handelt, ist eine schwere Körperverletzung nach §§ 84 Abs. 1 StGB, Strafmaß bis 3 Jahre Freiheitsstrafe, erfüllt. Es liegt immer § 87 Abs. 1 StGB (absichtliche schwere Körperverletzung), Strafmaß von einem bis fünf Jahre, vor, da es dem Täter gerade auf den Erfolg ankommt (§5 Abs. 2 StGB). Nicht nur der unmittelbare Täter (Arzt, Beschneider) macht sich strafbar, sondern auch der Bestimmungstäter (Eltern, Obsorgeberechtigte) § 12 2. Fall StGB.

§ 90 Abs. 3 StGB Österreich

§ 90 StGB regelt die Einwilligung in eine Körperverletzung oder Gefährdung der körperlichen Sicherheit. Liegt eine Einwilligung des Verletzten vor und verstößt die Körperverletzung oder Gefährdung als solche nicht gegen die guten Sitten, so ist diese nicht rechtswidrig und damit straflos. Der Einwilligung wird daher Kraft ausdrücklicher Anordnung des § 90 Abs. 1 StGB ein zusätzliches Erfordernis, dass die Verletzung nicht gegen die guten Sitten verstoßen darf, zugeschaltet. Der § 90 StGB folgt dem Rechtsgutgedanken, dass die körperliche Integrität nur beschränkt disponibel ist, daher vom Inhaber nur eingeschränkt verfügt werden kann24. § 90 Abs. 3 StGB stellt klar, dass in eine Körperverletzung nicht rechtlich wirkend eingewilligt werden kann, wenn es sich bei dem Eingriff um eine Verstümmelung oder sonstige Verletzung der Genitalien handelt, die geeignet ist, eine nachhaltige Beeinträchtigung des sexuellen Empfindens herbeizuführen.

Eine nachhaltige Beeinträchtigung der sexuellen Empfindung wird daher bereits schon gesetzlich als sittenwidrig eingestuft.

Der 3. Absatz des § 90 StGB wurde ursprünglich als Verbot der weiblichen Genitalverstümmelung eingeführt. Zwar war die weibliche Genitalverstümmelung auch bereits vor Einführung des § 90 Abs. 3 StGB eine Körperverletzung, jedoch gab es immer wieder Zweifel darüber ob eine erwachsene Frau in eine solche Genitalverstümmelung in ihren eigenen Körper einwilligen kann oder ob eine solche Einwilligung sittenwidrig ist, und daher die Einwilligung keine rechtliche Wirkung entfalten kann, daher die Körperverletzung nicht straflos wird (25). Dieser Zweifel ist seit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2001 beseitigt. Es kann daher weder die Eltern für ihre Kinder, noch eine erwachsene Frau für sich selber in eine Genitalverstümmelung mit strafbefreiender Wirkung einwilligen. Beim § 90 Abs. 3 StGB liegt kein geschlechtsspezifisches Tatbestandsmerkmal vor, so dass die Bestimmung auch auf Buben und Männer Anwendung findet. Sollte daher ein Eingriff die Folge einer nachhaltigen Beeinträchtigung des sexuellen Empfindens herbeiführen, so ist § 90 Abs. 3 StGB auch auf männlichen Minderjährigen und auf volljährige Männer anwendbar.

Der Zweck der Bestimmung liegt darin, dass der Staat seine Schutzfunktion ausübt, um Kinder und Erwachsene vor einer qualifizierten Herabsetzung ihrer sexuellen Empfindung zu bewahren. Das Kinder einen besonderen Schutz benötigen, leuchtet sofort ein. Dass jedoch auch Erwachsene einen derartigen Schutz benötigen scheint auf den ersten Blick verwunderlich. Betrachtet man jedoch, dass eine Herabsetzung des sexuellen Empfindens von einer erwachsenen Frau selber nicht im Voraus einzusehen ist und dass auch erwachsene Frauen kulturellen Zwängen unterliegen und beeinflussbar sind, so leuchtet ein, dass hier die Schutzwirkung sich auch auf Erwachsene erstrecken muss. Diese Gründe: Uneinsehbarkeit des Eingriffs, kulturelle Zwänge und Beeinflussbarkeit, treffen auch auf den männlichen Bevölkerungsanteil und die männliche Beschneidung zu.

Das einzige taugliche Unterscheidungsmerkmal um eine männliche Beschneidung nicht unter § 90 Abs. 3 StGB fallen zulassen ist der Auswirkungsgrad des Eingriffs auf das sexuelle Empfinden. Hier ist dementsprechend auszulegen wie hoch die Herabsetzung des sexuellen Empfindens sein muss. Bei den meisten Formen der weiblichen Beschneidung wird die sexuelle Empfindung so gut wie auf null herabgesetzt. Jedoch berichten auch beschnittene Frauen, welche der niedrigsten Genitalverstümmelung unterworfen worden sind oder sich unterworfen haben, dass sie durchaus auch einen Orgasmus empfinden können. Daher muss sich die qualifizierte Herabsetzung nicht zwangsläufig bei null ergeben, so dass auch eine männliche Beschneidung, wegen ihrer Folgen auf das sexuelle Empfinden, unter den § 90 Abs. 3 StGB fallen kann. Allein durch den Wortlaut des § 90 Abs. 3 StGB wäre bereits die wie oben beschriebene Einschränkung der Masturbation, als Herabsetzung des sexuellen Empfindens ausreichend. Die Konsequenz wäre daher, dass auch ein erwachsener Mann sich nicht frei für eine Beschneidung seines eigenen Penis entscheiden kann, daher das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper eingeschränkt wird. Lediglich im Fall einer Heilbehandlung wäre eine Beschneidung möglich. Dies wäre durchaus vertretbar in einer Gesellschaft, wo das entsprechende soziale Umfeld Druck auf erwachsene Männer ausübt und zu befürchten ist, dass sie diesem Druck nicht von sich aus standhalten können.

Diese strengste Auslegung ist auch haltbar, wenn in der Gesellschaft das sexuelle Empfinden als ein so hohes Gut betrachtet wird, so dass dem Einzelnen es verwehrt wird, in selbstbestimmender Weise eine Herabsetzung dieses Gutes zu bewirken, da eine Herabsetzung des sexuellen Empfindens dem gesellschaftlichen Wertempfinden, den guten Sitten krass widerspricht. Durch die Formulierung “sonstige Verletzung der Genitalien, die geeignet ist, eine nachhaltige Beeinträchtigung des sexuellen Empfindens herbeizuführen,“ werden auch jene Eingriffe erfasst, welche zum Zweck der Hinauszögerung des sexuellen Verlangens von heranwachsenden Mädchen zur Bewahrung der Jungfernschaft vorgenommen werden, z.B. das Durchstechen oder das sonstige Beschneiden der Schamlippen, die Verätzung der Klitoris (26). Der historische Gesetzgeber wollte daher auch geringere Eingriffe in die Genitalien von Kindern abwehren. Danach verbietet der historische Gesetzgeber es z.B. einen Keuschheitsring, welcher die beiden Schamlippen zusammen hält und so eine Entjungferung vorbeugen soll, anzubringen. Es geht hierbei demnach nicht um eine Herabsetzung des sexuellen Empfindens im engeren Sinn, sondern um eine Herabsetzung des sexuellen Empfindens im weiten Sinn, da nicht die körperliche Empfindungsmöglichkeit selber runtergesetzt wird, sondern das Auslösen der sexuellen Empfindung z.B. durch Masturbation erschwert wird.

Da die Masturbation bei Buben durch die Beschneidung auch wesentlich behindert wird, leuchtet ein, dass auch eine Beschneidung bei Buben und heranwachsenden Männern unter § 90 Abs. 3 StGB fallen muss. 

Weiterhin ist eine Behandlung der Klitoris mit Säure verboten, da durch die Säurebehandlung das Empfindungsniveau heruntergesetzt wird. Durch die Beschneidung bei Buben wird das Empfindungsniveau der Eichel, der Vorhaut und des Frenulums heruntergesetzt. Diese Heruntersetzung des Empfindungsniveaus ist sicher gleichwertig. Auch eine Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes durch eine Schamlippenstraffung bzw. eine Schamlippenverkürzung wollte der damalige Gesetzgeber bei Kindern mit Einfuhr des § 90 Abs. 3 StGB verhindern, wenn er eine (sonstige) Beschneidung der Schamlippen mit einbezieht.

Danach lässt sich ein Schutzzweck ableiten, wonach Erwachsenen das Bestimmungsrecht über ihren eigenen Körper bei Herabsetzung des sexuellen Empfindens eingeschränkt wird, weil die Tragweite des Eingriffs nicht für den Betroffenen erkennbar ist und sie vor einer gesellschaftlichen Drucksituation beschütz werden sollen. Daher ist zumindest auch eine Schutzfunktion auf heranwachesende und erwachsene Männer ableitbar, welche sich in einer Abhängigkeit von ihrer Familie oder ihres Kulturkreises befinden.

Durch die Regierungsvorlage wird deutlich, dass der historische Gesetzgeber eine männliche Beschneidung bei einem Volljährigen nicht unter § 90 Abs. 3 StGB fallen lassen wollte, da er die Meinung vertritt, dass eine männliche Beschneidung nicht geeignet sei das sexuelle Empfinden 26 RV 754 BlgNR 21. GP, herabzusetzen (27). Auch wenn der damalige Gesetzgeber über die Herabsetzung des sexuellen Empfindens durch eine männliche Beschneidung irrte, wie oben beschrieben, so wollte er dennoch eine Herabsetzung des sexuellen Empfindens ausdrücklich verhindern, so dass auch eine Herabsetzung des sexuellen Empfindens eines Mannes bzw. noch in schärferer Form eine Veränderung der Genitalien bei Minderjährigen unter den Tatbestand des § 90 Abs. 3 StGB fällt. Durch die teleologische Interpretation kann aber auch durchaus vertreten sein, dass eine männliche Beschneidung von einem erwachsenen Mann nicht unter § 90 Abs. 3 StGB fällt, wenn er sich frei dazu entscheidet, jedoch eine männliche Beschneidung von einem Minderjährigen immer unter § 90 Abs. 3 StGB fällt, da es den Sinn und Zweck des Schutzes und der guten Sitten entspricht. Vergleich zu Einschränkungen der elterlichen Einwilligungsfähigkeit

Nach österreichischer Verordnung ist es Tätowierungsstudios verboten Kunden unter 16 Jahren zu tätowieren, selbst mit Einwilligung von dem Sorgeberechtigten § 2 Abs. 1 S 5 (28). Zwar handelt es sich hier lediglich um ein Verbot für das Gewerbe, jedoch ist die Verordnung und das Verbot als Schutzfunktion zu beurteilen, um ein unter 16 Jähriges Kind vor überhasteten und unbedachten Entscheidungen zu schützen. Es wird daher einem unter 16 jährigen Kind und dem Erziehungsberechtigten die Einwilligungsfähigkeit in nicht medizinisch inzidierten Maßnahmen abgesprochen. Bei ordnungsgemäßer Behandlung hat eine Tätowierung lediglich optische Auswirkungen, während eine Beschneidung auch eine irreversible Herabsetzung der sexuellen Gefühle bewirkt. Daher würde eine Verneinung der Einwilligungsfähigkeit in eine Tätowierung und eine Bejahung der Einwilligungsfähigkeit in eine Beschneidung ohne medizinische Indizierung der logischen rechtlichen Zweckbestimmung krass widersprechen.

Stellt man die Verordnung den §§ 146 ABGB gegenüber, so wird deutlich, dass die §§ 146 ABGB immer die Einwilligungsfähigkeit in einen Eingriff mit medizinischen Hintergrund voraussetzen, sei es auch bloß zur Vorbeugung einer geistigen Störung oder einer Organspende, während zumindest die Verordnung einen Eingriff ohne jeglichen medizinischen Eingriff behandelt. Es wird daher deutlich, dass auch die Verwaltung durch ihre Gesetzesauslegung höhere Anforderungen an eine Einwilligung in einen nicht medizinisch sinnvollen Eingriff stellt und in Folge dessen die Einwilligungserfordernisse in eine Behandlung ohne medizinischen Hintergrund hohe Anforderungen zu stellen sind. Eine Tätowierung eines Jugendlichen zwischen 16 Jahren und unter 18 Jahren bedarf zusätzlich der Einwilligung des Erziehungsberechtigten § 2 Abs. 1 S 429. Da wie oben bereits ausgeführt hat eine Tätowierung weitaus weniger Auswirkung auf den Körper als eine Beschneidung, daher ist auch hier davon auszugehen, dass eine Einwilligung in eine Beschneidung ohne medizinische Indizierung frühestens ab 18 Jahren möglich ist. Im Fall, dass die Eltern eine lebensrettende Blutspende für ihr Kind widersprechen, können sich die Eltern in Deutschland nicht auf ihr Grundrecht Art 6 Abs 1 GG (elterliche Erziehungsrecht und auf Art 4 Abs. 1 GG (Glaubens- und Gewissensfreiheit) berufen, da diese Grundrechte mit dem Grundrecht des Kindes auf Leben und körperliche Unversehrtheit kollidieren und das Grundrecht des Kindes stärker wiegt (30).

Auch in Österreich ist es zur Routine geworden, dass die elterliche Obsorge einer Einschränkung nach § 176 ABGB unterzogen wird, wenn sich die Eltern weigern einer Bluttransfusion ihres Kindes aus religiösen Gründen zuzustimmen. Kann allein eine Notwendigkeit einer Bluttransfusion nicht ausgeschlossen werden und ist die notwendige elterliche Einwilligung in die Behandlung nicht zu erhalten, so liegt eine Gefährdung des Kindeswohl vor und dass Pflegschaftsgericht oder der

Jugendwohlfahrtsträger nach § 215 Abs 1 1. Satz ABGB hat die Einwilligung in die Behandlung zu erteilen. Eine Beschränkung des elterlichen Rechts und der Religionsfreiheit mit dem Recht auf Religionsausübung wird daher auch hier sehr wohl vom Staat eingeschränkt, wenn der Sorgeberechtigte nicht nach objektiven Maßstab zum Wohle des Kindes entscheidet. Das Rechtsgut Leib und Leben, und bereits die alleinige Gefährdung, wiegt daher stärker als das Religionsausübungsrecht des Betroffenen durch die Eltern.

III. Kritik und Klarstellung

Die Beschneidungsrate in Deutschland, Österreich und der Schweiz dürfte sich zwischen 15 und 20 Prozent belaufen. Bei 10 bis 15 % wurde die Beschneidung im Kindesalter durchgeführt. Geht man davon aus, dass gerade mal bei 1% eine medizinisch behandlungsbedürftige Vorhautverengung vor liegt, und von diesen 1% gerade einmal 5% eine Beschneidung notwendig war, so wird deutlich, dass einige der Verantwortlichen ihre Pflichten unzulänglich ausführen.

Eltern: Zur Obsorgeberechtigung gehört, dass sich die Eltern bevor sie eine Entscheidung treffen, sich Sachkenntnisse verschaffen und unter Abwägung der Vor- und Nachteile eine isolierte Entscheidung allein auf das Kindeswohl treffen. Den Eltern kommt aber auch die Pflicht zu, dass sie sich selber mit der medizinischen Behandlung und Anliegen ihres Kindes ernsthaft auseinander setzen und nicht blind einem Arzt vertrauen. Erfüllen die Eltern die entsprechende Sorgfalt nicht, so liegt eine der Voraussetzung für die volle Erziehungsberechtigung nicht vor. Im Übrigen kommt den Eltern nur dann eine Entscheidungsbefugnis über eine solch weitreichende Behandlung zu, wenn ein zwingender medizinischer Grund vorliegt. In allen anderen Fällen gibt es daher für solche Einwilligungen keine Entscheidungsbefugnis, da keine Entscheidung ansteht. Auch gibt es die Fälle, wo Eltern eine Beschneidung aus fetischistischen Gründen in die Wege leiten, hier ist das StGB in seiner vollen Härte gefragt um auch präventiv vorzugehen.

Ärzte: Salbentherapien, Erweiterungschirurgie gehört zu dem heutigen Stand der Wissenschaft, eine solch hohe Beschneidungsrate aus angeblichen medizinisch notwendigen Gründen ist höchst fragwürdig. Es liegt also entweder eine dringend behandlungsbedürftige Unzulänglichkeit der Ärzteschaft vor oder ein hohes kriminelles Potenzial an vorsätzlicher Körperverletzung, und in den meisten Fällen mit einem Versicherungsbetrug, da der Arzt ein medizinischen Grund angibt und die Behandlung mit der Krankenkasse verrechnet wird. Im Übrigen wird ein Arzt bei einer Fehldiagnose zivilrechtlich haftbar. Weiter trifft dem Arzt auch die Aufklärungspflichten, daher muss der Arzt dem Patenten und ggf. dem Sorgeberechtigten mitteilen, ob überhaupt eine Behandlung notwendig ist und hat über alternative  Behandlungsmöglichkeiten aufzuklären, und muss über die Art und die Tragweite der Behandlung gehörig Auskunft geben (31). Kommt der Arzt diesen Pflichten nicht nach, so kann der Patient bzw. die Eltern schon allein daher nicht rechtswirkend einwilligen.

Parallel ist noch zu beachten, wie oben bereits beschrieben, muss eine wirksame Einwilligung frei von Zwang sein. Wenn daher das Kind von Dritten z.B. den Eltern gezwungen oder getäuscht wird in den Eingriff einzuwilligen und der Arzt von dieser Beeinflussung weiß oder davon ausgehen musste, so ist der Eingriff rechtswidrig und strafbar.

Allgemein kann davon ausgegangen werden, dass ein Kind nicht zustimmt, wenn ihm ein gesunder Teil seines Körpers abgeschnitten wird, ihm Schmerzen zugefügt werden. Wenn daher ein Kind seine Zustimmung für eine Beschneidung ohne medizinische Notwendigkeit abgibt, muss ganz offensichtlich davon ausgegangen werden, dass das Kind dies nur unter Zwang oder durch Täuschung abgibt. Von einem Arzt kann verlangt werden, dass er dies weiß, sollte er daher dennoch den Eingriff durchführen, st sein Eingriff auch auf dieser Argumentationsebene strafbar.

Sollte es sich um einen Arzt handeln, welcher selber aus einem Milieu mit Beschneidungstradition stammt und er sich auf seine Gewissensfreiheit berufen will, so wird dies nicht greifen, da daStrafrecht hauptsächlich dem Schutz potentieller Opfer dient, kann die Anwendung des Strafrechts nicht allein vom Gewissen des Täters abhängig sein (32).

Auch die Ärztekammern wären hier verpflichtet Aufklärung und Überprüfung der Ärzteschaft zu leisten. Weiter würde hier auch bereits vereinzelnde Verurteilungen der Ärzteschaft helfen ihre offensichtlich vorhandenen Defizite im Stand der Wissenschaft aufzufüllen.

Behörden: Die Glaubwürdigkeit eines Rechtsstaates wird durch die Qualität der staatsanwaltlichen Tätigkeit und der polizeilichen Tätigkeit deutlich beeinflusst. Was bringen dem Bürger die besten undm gerechtesten Gesetze, wenn diese gar nicht, nicht unter Familienangehörigen oder unterschiedlich nach gesellschaftlicher Zugehörigkeit angewendet werden. Die körperliche Unversehrtheit der Kinder ist in besonderen Maße schützenswert, den Schutz innerhalb der Familie nicht nachzukommen muss nach ehrenhaften und rechtsschaffenden Maßstab als Beihilfe zum Verbrechen bewertet werden. Zumindest muss das so von einem Juristen gewertet werden.

IV. Deutung der mangelhaften Strafverfolgung

Während meinem Studium über das Thema hab ich nicht ein Urteil über eine Beschneidung, welche nicht medizinisch indiziert war und der Sorgeberechtigte zugestimmt hat gefunden. Schon allein durch die allgemein bekannten religiösen Beschneidungen, hätte ich haufenweise Urteile finden müssen, da die Staatsanwaltschaft selbstständig ermitteln muss. Es ist daher in keinster Weise verständlich, dass die Strafverfolgung nicht stattfindet.

Es mag nun den Eindruck geben, dass wir weitere Gesetze benötigen, welche eine Beschneidung von Buben unter Strafe stellt. Dies ist jedoch nicht so, es liegen alle erforderlichen Gesetze vor, man hat diese nur anzuwenden und zu verfolgen.

Da Deutschland und Österreich sehr offen, einsichtig und tolerant für verschiedene Kulturen sind, könnte der Eindruck erweckt werden, dass man doch die Beschneidung dulden sollte um andere Völker und Kulturen zu achten. Dies wäre jedoch eine extreme Fehlentscheidung mit fatalen Folgen, da Körperverletzung bei Minderjährigen nicht von einer Religion oder von einem Ritual gerechtfertigt wird.

Weiterhin gibt es bestimmte Wertvorstellungen in unserer Kultur, um diese nicht zu verlieren ist es erforderlich, dass diese Wertvorstellungen geschützt werden, da sie sonst wertlos werden. Ein Dulden an Praktiken, wo bei den Genitalien von Kindern rumgespielt und rumgeschnitten wird, ist nicht akzeptabel.

Wenn die Regierung bzw. die Volksvertreter die Beschneidung an Buben nicht verfolgen will, obwohl es außer bei einer Heilbehandlung eindeutig strafbar ist, weil sie den politischen Frieden beibehalten wollen, so ist stets zu beachten, dass der politische Frieden mit dem Leid, der Herabwürdigung und Herabsetzung sexueller Empfindung von Kindern Tag für Tag bezahlt wird. Es ist allerhöchste Zeit, dass die Beschneidung strafrechtlich verfolgt wird, da es keine Ausreden wegen Nichtwissen der Folgen einer Beschneidung mehr gibt. Es gibt genügend wissenschaftliche Arbeiten über die Folgen der Beschneidung. In Australien z.B. ist das Umdenken in vollem Gange. Auch eine Ignoranz gegenüber dem männlichen Geschlecht ist zu verwerfen, die Menschenrechte und der strafrechtliche Schutz gelten für beide Geschlechter.

Fußnoten

  1. Warren/Bigelow, The Case against circumcision. British Journal of sexual Medicine 1994;6. Milos/Macris, Circumcision: Effects upon human sexuality. Encyclopedia of Human Sexuality 1994; 119.
  2. J. R. Taylor/A.P. Lockwood/A.J. Taylor, The prepuce: Specialized mucosa of the penis and its loss to circumcision. British Journal of Urology 1996; 291.
  3. Øster , Further Fate of the Foreskin: Incidence of Preputial Adhesions, Phimosis, and Smegma among Danish Schoolboys. Arch Dis Child, 1968. 200.
  4. Kayaba H/H Tamura/Kitajima S/et al, Analysis of shape and retractability of the prepuce in 603 Japanese boys. J Urol 1996; 156; 1813.
  5. Øster, Further Fate of the Foreskin: Incidence of Preputial Adhesions, Phimosis, and Smegma among Danist Schoolboys. Arch Dis Child, 1968; 200.Wright, Australian and New Zealand Journal of Surgery, 1994; 327.
  6. Nähers siehe, im Abschnitt: §90 Abs. 3 StGB Österreich.
  7. Williams/Peterson, Circumcision Information Australia, 2003.
  8. Falliers, Journal of the American Medical Association, 1970; 2194.
  9. §§ 34ff. StGB.
  10. Kienapfel, BT I § 83 Rz 25ff.
  11. Kienapfel, Höpfel, AT I , 24.
  12. Fuchs/Reindl, BT I, 40.
  13. Fuchs/Reindl, BT I, 77.
  14. § 223 StGB Deutschland. § 83 StGB Österreich.
  15. Kienapfel/Höpfel, AT I, 75.
  16. vgl. § 3 PatVG.
  17. Hopf/Weitzenböck, ÖJZ 2001, 533; Haidenthaller, RdM 2001, 166; RV 296 BlgNR 21. GP, 55f.
  18. RV 296 BlgNR 21. GP, 55f.
  19. Kienapfel/Höpfel, AT I, 77.; Hinterhofer, Einwilligung , 93.
  20. Academy of Pediatrics Task Force on Circumcision, Circumcision Policy Statement, Pediatrics 1999; 686.
  21. Fuchs/Reindl, BT I, 80.
  22. OLG München, NStZ 1985, 549.
  23. Kienapfel, Höpfel, AT I, 77
  24. RV 754 BlgNR 21. GP.
  25. RV 754 BlgNR 21. GP, 
  26. RV 754 BlgNR 21. GP,
  27. Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über Ausübungsregeln für das Piercen und Tätowieren durch Kosmetik (Schönheitspflege)-Gewerbetreibende für Österreich (BGBl II/ Nr. 141/2003).
  28. Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit über Ausübungsregeln für das Piercen und Tätowieren durch Kosmetik (Schönheitspflege)-Gewerbetreibende Österreich (BGBl II/ Nr. 141/2003).
  29. OLG Celle 17. Zivilsenat, Az: 17 W 8/94.
  30. Zipf, Die Bedeutung und Behandlung der Einwilligung im Strafrecht, ÖJZ 1977, 379.
  31. OLG Hamm, 10.10.1976, NJW 1968/15.

Literaturverzeichnis

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Fuchs, Reindl, Strafrecht Besonderer Teil I, 2. Auflage 2007

Kienapfel, Höpfel, Strafrecht Allgemeiner Teil, 12. Auflage 2007

Zipf, Die Bedeutung und Behandlung der Einwilligung im Strafrecht, ÖJZ 1977

Hinterhofer, Die Einwilligung im Strafrecht, 1998

Hopf, Weitzenböck, Schwerpunkt des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetz 2001, ÖJZ 2001

Haidenthaller, Die Einwilligung in medizinische Behandlungen, RdM 2001

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