Einige Beiträge von Ärzten und Krankenschwestern zur Beschneidung von Säuglingen und deren Schmerzen.

„Befragt, gaben die Kinder immer an, das ‘Pimmelchen’ tut weh, selbst wenn die Tonsillektomie-OP-Wunden deutlich grösser sind.“ 

12. Juli 2012 um 00:05 Uhr 
Sehr geehrte Frau Will,

Zum Thema Schmerzhaftigkeit einer Beschneidung. Ich bin HNO-Ärztin. Ich habe als Belegärztin in einer Kinderklinik 24 Jahre lang operiert. Es wurden dabei häufig in Kombination mit meinen OP’s (Adenotomien ‘Polypenoperation’ und teilweise auch Tonsillektomien (‘Mandel-OP’)) Circumcisionen (‘Beschneidungen’) durchgeführt, um den Kindern eine weitere Narkose und vor allem ein weiteres Trauma zu ersparen. Die Indikation für die Circumcision war in diesen Fällen meist aus medizinischen Gründen, z.B. Phimose. Es wurde aber auch aus religiösen Gründen , auf Wunsch der Eltern durchgeführt. Zur normalen Narkose wurde zusätzlich eine caudale , also örtliche Anästhesie durchgeführt. Eine Adenotomie bewirkt postoperativ kaum Schmerzen, eine Tonsillektomie schon mal für 1-2 Tage. Die Kinder schlucken postoperativ sehr schnell wieder ihre Lieblingsgerichte und -getränke. Die Kinder benötigen aber eine Schmerztherapie bzgl. ihrer ‘Beschneidung, weil diese sehr und lange schmerzhaft ist. Sie fürchten sich vor dem urinieren. Eine Reinigung des Penis lassen sie nicht zu. Mithilfe der caudalen Anästhesie waren die Kinder zumindest in den ersten 24 Stunden weitgehend beschwerdefrei. Befragt, gaben die Kinder immer an, das ‘Pimmelchen’ tut weh, selbst wenn die Tonsillektomie-OP-Wunden deutlich grösser sind. Nur weil eine Tradition seit vielen Jahrhunderten durchgeführt wird, ist sie nicht als unbedenklich gerechtfertigt. Kinder können ihre Erlebnisse nicht erklären und begründen, aber sie erleben den Schmerz sehr intensiv. 

Mit freundlichem Gruß
Dr. S. Reinhardt, HNO-Ärztin, München

Kommentar zur Anne Will Talkrunde: “Streit ums Beschneidungs-Urteil – Religionsfreiheit ade?” vom 11. Juli 2012


„Ausnahmslos ALLE Kinder haben, trotz örtlicher Betäubung, lange und heftigst geweint“

11. Juli 2012 um 23:48 Uhr
Wie wenig informiert zeigt sich Frau Hübsch bzgl des medizinischen Vorgehens bei einer Beschneidung an Neugeborenen!!! Zu behaupten, die Kinder “bekämen es nicht mit” und hätten “kaum oder nur für kurze Zeit” Schmerzen und würden nicht schreien, weil sie betäubt würden, ist schlicht gelogen. Als Kinderkrankenschwester habe ich wirklich viele Beschneidungen aus religiösen Gründen an Neugeborenen erleben müssen und ausnahmslos ALLE Kinder haben, trotz örtlicher Betäubung, lange und heftigst geweint. Durch den Stress und den Schmerz hielten viele den Atem an, was logischerweise zu weiteren ernsthaften Problemen führte. Auch in den Tagen danach, wenn dieser kleine Penis um ein vielfaches geschwollen ist und beim Windeln blutet, weinen die Kinder immer wieder. Von den Infektionen ganz zu schweigen…

Kommentar zur Anne Will Talkrunde: “Streit ums Beschneidungs-Urteil – Religionsfreiheit ade?” vom 11. Juli 2012


Die Schmerzen der Kinder

Im Bericht von Hans Riebsam „Schnitt und Schmerz“ (FAZ vom 28. Juni) wird die Aussage Salomon Korns wiedergegeben, „dass aller medizinischen Kenntnis zufolge das Schmerzempfinden von Babys in den ersten drei Lebensmonaten kaum ausgeprägt sei. Die Kinder würden also unter dem Eingriff nicht leiden.
Dazu erlaube ich mir, Folgendes zu berichten :

Wie andere junge Ärzte leistete ich im Jahr 1966 nach dem medizinischen Staatsexamen das zweite Jahr der Medizinalassistenzzeit in den Vereinigten Staaten ab. Ich war als „intern“ in einem großen Krankenhaus in New Jersey tätig. Das Programm umfasste auch eine Rotation auf die Abteilung Geburtshilfe. Dort gehörte auch zu unseren Aufgaben die Durchführung der Beschneidung bei den Söhnen derjenigen Mütter, die nicht krankenversichert waren. Nachdem uns das Vorgehen einmal gezeigt worden war, wurden wir zum nächsten neugeborenen Jungen gerufen, um die Prozedur selbst vorzunehmen. Mittels Mullbinden waren die gespreizten Ärmchen und Beinchen von den Krankenschwestern an vier Pflöckem auf einem Holzbrett fixiert worden. Nach örtlicher Desinfektion musste zunächst die Vorhaut mit der gezähnten Pinzette gefasst und von der Glans gelöst werden. Schon dabei schrieen die Kinder erbärmlich.

Als die Vorhaut dann mit der gebogenen Schere in mehreren Etappen rings abgeschnitten wurde, schrien die Kinder dermaßen, dass ihnen manchmal der Atem stockte und sie blau im Gesicht wurden. Mit aller Kraft versuchten sie, sich von ihren Fesseln zu lösen. Das schwierigste für uns „interns“ war es, bei dem sich windenden Säugling, die kleine Arterie am Frenulum des Penis mit der Pinzette zu fassen und mit Nadel und Catgut zu umstechen, um eine Blutung zu stillen

Nicht selten misslang dies beim ersten Versuch. Wegen der Gefahr des Nachblutens wurden rgelmäßig Kontrolluntersuchungen auf Bluttrockenheit vorgenommen. Besonders schwierig und quälend war es, dann im Falle einer Nachblutung ein paar Stunden später, ein weiteres Mal zu versuchen, das Blutgefäß zu umstechen. Um die ganze Prozedur, die zudem meist nachts stattfand, zu vermeiden, versuchten zumindest wir, die europäischen „interns“, die meist schwarzen Mamas schon vor der Geburt zu überzeugen, bei einem Sohn die Beschneidung abzulehnen. Die Schwestern auf der geburtshilflichen Station jedoch argumentierten regelmäßig für diese Maßnahme. Wie damals die Beschneidung bei den Kindern der Mütter ablief, die eine Krankenversicherung hatten, habe ich nicht erfahren. 
Man kann hoffen, dass sich das Vorgehen inzwischen geändert hat. Das Schmerzempfinden Neubeborener ist bestimmt gleichgeblieben.

Leserbrief in der FAZ vom 6.Juli 2012 von Professor Dr. med. Gerhard E. Feurle