von Sami A. Aldeeb Abu-Sahlieh
CIBEDO, Beiträge zum Gespräch zwischen Christen und Muslimen (Frankfurt), 8. Jahrgang, Nr. 2, 1994, S. 64-94.
Artikel 24, Absatz 3 der Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989 bestimmt:
"Die Teilstaaten ergreifen alle geeigneten wirksamen Maßnahmen, die die Abschaffung der für die Gesundheit der Kinder schädlichen traditionellen Praktiken anstreben."[1]
1984 bestätigte die Präsidentin des inter-afrikanisehen Komitees:
"Die falsche Auffassung der Religion hat eine wichtige Rolle gespielt bei der Aufrechterhaltung der Praxis der Beschneidung von Frauen und anderer Praktiken, die dazu tendieren, der Frau eine untergeordnete Stellung gegenüber dem Mann zuzuweisen."i[2]
Im April 1987 erneuerte die Vize-Präsidentin des interafrikanischen Komitees die Anklage:
"Ich fordere offensivere Maßnahmen, um die Praxis der Infibulation zu stoppen. Ich plädiere für eine aktivere Unterstützung vor allem von den religiösen Führern des Islams, weil es mehrfach bestätigt worden ist, daß diese Praxis den Vorschriften des Islams widerspricht."[3]
Im Geist dieses Komitees spielen die Religion und die muslimischen Religionsführer eine wichtige Rolle in der Sache der Beschneidung von Frauen. Diese Studie zielt darauf ab, diese Rolle zu untersuchen, sowohl bezüglich der Beschneidung von Frauen als auch von Jungen. Wir werden freiwillig auf den Gebrauch des Wortes Islam, eines abstrakten Begriffs, verzichten, und wir werden uns auf die schriftlichen Quellen des islamischen Rechts und die Ansichten zeitgenössischer arabischer Autoren, vorwiegend ägyptischer Herkunft, konzentrieren.
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Die französische Sprache gebraucht verschiedene Wörter, um die sexuellen Verstümmelungen zu bezeichnen. In der Regel spricht man von "circoncision" (dt. Beschneidung) bei Jungen und von "infibulation" (dt. Infibulation) (je nach dem) bei Mädchen. In dieser Studie, werden wir die Begriffe Beschneidung von Männern und Beschneidung von Frauen (frz. "circoncision masculine" und "circoncision féminine") benutzen.[4]
Die arabische juristische Sprache benutzt das Wort "khitan" für die Beschneidung von Männern und die Bezeichnung "khafd" oder "Khifad" für die Beschneidung von Frauen. Aber die Umgangssprache gebraucht "khitan" für beide dieser Verstümmelungen. Man spricht auch von "taharah", was Reinigung bedeutet, da man annimmt, daß diese Verstümmelungen diejenigen reinigen, die sie erleiden.[5]
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Die Beschneidung von Frauen provoziert im Westen eine leidenschaftliche Debatte in der Öffentlichkeit. Mehrere nationale, regierungsunabhängige und internationale Organisationen interessieren sich dafür[6]. Diese Debatte hallt in der arabischen Welt wieder. Feministische Kreise fordern ihre Abschaffung, während muslimisch-religiöse Kreise immer öfter versuchen, sie in der Form, die "sunnah" genannt und für konform mit der Überlieferung Muhammads gehalten wird, zu rechtfertigen.[7] Man findet dagegen ein sehr geringes Interesse an dieser Frage. in arabischen juristischen Werken.[8] Die arabische Ärzteschaft scheint sich auch nicht so sehrdafür zu interessieren; da sie in der Mehrheit aus Männern besteht, hält sie an den moralischen und sozialen Werten fest, die in Gesellschaft vorherrschen und hindern diese daran, vorauszuschauen[9].'
Im Gegensatz zur Beschneidung von Frauen interessiert die Beschneidung von Männern fast niemanden.[10] Die Debatte über diese Frage ist immer noch tabu. Diese Haltung kann man in dem oben erwähnten Artikel 24 Absatz 2 der Kinderrechtskonvention feststellen. Trotz ihrer allgemeinen Formulierung zeigen die vorbereitenden Arbeiten, daß die Autoren nur an die Beschneidung von Frauen und in keiner Weise an die Beschneidung von Männern gedacht haben.[11]
Die Unterscheidung, die man zwischen der Beschneidung von Männern und Frauen macht, rechtfertigt sich nach Wedad Zenie-Ziegler, einer Ägypterin, aus medizinischen und kulturellen Gründen:
"Es gibt keine Ähnlichkeit zwischen der Beschneidung von Jungen, die eine prophylaktische, in fast allen Gesellschaften den Jungen empfohlene Maßnahme ist, und der Beschneidung von Mädchen, deren vorrangiges Ziel ist, das sexuelle Verlangen der Frauen zu schwächen, wenn nicht zu unterdrücken."[12]
Beim UNO-Seminar in Ouagadougou war die Mehrheit der Teilnehmer der Meinung, daß die Rechtfertigungen für die Beschneidung von Frauen, die aus der Kosmogonie und aus der Religion abgeleitet werden "mit Aberglauben gleichgesetzt und als solche entlarvt werden müssen", denn "weder die Bibel noch der Koran schreiben Frauen die Beschneidung vor". Sie empfahl "im Denken der Menschen die Beschneidung von Männern, die einen hygienischen Zweck hat, von der Exzision zu trennen, die eine schlimme Verletzung der physischen Integrität der Frau ist[13]". Diese Argumentationsweise hat keine Grundlage und ist sehr gefährlich. Wenn sich die Beschneidung von Frauen in der Bibel oder im Koran fände, wäre sie dann erlaubt? Und wenn man sich anschickte alles was die Bibel oder der Koran sagt anzuwenden, angefangen mit dem Widervergeltungsrecht?!
Ein ganz anderer Ton klingt bei Ghita El-Khayat-Bennai, einer Marokkanerin an:
"Frauen sind nicht die einzigen, die sexuelle Verstümmelungen erleiden. Alle Juden dieser Welt zum Beispiel werden im Alter von sieben Tagen beschnitten, ohne daß dies ihre Eltern bewegt... Sie beschneiden weiter ihre männlichen Kinder, obwohl sie wissen, daß dieses ein extrem traumatisierendes Ereignis für das Kind ist, wobei sie vorziehen, den kleinen Jungen diesem Leiden auszusetzen statt ihren Schrecken und kulturellen Tabus als Erwachsene die Stirn zu bieten."[14]
Geneviève Giudicelli-Delage schreibt:
"Ohne Zweifel sind die Folgen der Beschneidung (von Jungen) weniger schwerwiegend als die der Beschneidung (von Mädchen) (auch wenn einige Formen leichter Beschneidung von Mädchen der Beschneidung (von Jungen) relativ ähnlich sein könnten). Aber auf jeden Fall wäre es ein Fehler, sich auf das Gebiet der Folgen zu begeben. Die Sitte rechtfertigt die schlimmsten Handlungen, sogar den Tod; das Wesentliche ist nicht die Handlung, sondern die Kultur. Wenn eine malische Familie in Frankreich ihren Sohn beschneiden lassen kann, aber die Tochter nicht, liegt das daran, daß die Beschneidung von Männern Bestandteil einer kulturellen Ordnung ist, die mehr oder weniger die unsere ist, dieser jüdisch-christlichen Ordnung, die der Schmelztiegel unserer Kultur ist und daran, daß diese Ordnung die Exzision nicht kennt und niemals gekannt hat."[15]
Für Dr. Gérard Zwang ist die Ursache für die Unterscheidung zwischen beiden Arten der Beschneidung einfach:
die meisten Sexologen und für die Information Verantwortlichen sind beschnitten; sie verhindern jede Debatte über die Beschneidung von Männern."[16]
Die juristische Logik lehnt die Unterscheidung zwischen der Beschneidung von Männern und der von Frauen ab, da beide Verstümmelungen gesunder Organe und folglich eine Verletzung der körperlichen Integrität des Kindes sind, welche religiösen Motivationen und Aberglauben es immer sind, die sie aufrechterhalten.[17]
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Die Beschneidung von Männern wird von allen Muslimen und allen Juden sowie von bestimmten Christen, wie bei den ägyptischen, praktiziert. Sie wird auch bei den animistischen Stämmen Afrikas praktiziert.
Was die Beschneidung von Frauen betrifft, so wird sie weder von allen Muslimen noch von allen Arabern praktiziert. In der Tat kennen viele, um nicht zu sagen die Mehrheit der Maghreb-Länder sowie die Türkei und der Iran diese Sitte nicht.[18] Man findet sie dagegen bei den ägyptischen Christen[19] ebenso wie bei den äthiopischen Juden (den Falascha)[20] die sie wahrscheinlich noch heute in Israel praktizieren, wie es die nach Frankreich ausgewanderten Afrikaner tun. Der Sudan (98%), Somalia (98%) und Ägypten (75%) gehören zu den größten arabischen Ländern, in denen sie noch praktiziert wird. In letzterem erlegen 97,5% der ungebildeten Familien ihren Töchtern die Beschneidung auf gegenüber 66,2% der gebildeten Familien.[21] In weiteren arabischen Ländern ist sie üblich: im Jemen, in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrein, Qatar, Oman, in einigen Regionen Arabiens und in Mauretanien. Sie soll auch von einigen Muslimen in asiatischen Ländern wie Indonesien, Malaysia, Pakistan und Indien unter dem Namen sunnah Beschneidung, also mit Bezug auf die Religion praktiziert werden. Aber an genauen Angaben fehlt es in diesem Bereich. In Afrika soll sie in 28 Ländern praktiziert werden, darunter von vielen animistischen Stämmen; sie betreffe ungefähr 75 Millionen Frauen.[22]
Oft wird die Beschneidung von Frauen und Männern ohne Betäubung auf eine barbarische Weise von Personen ohne medizinische Ausbildung, von Barbieren oder Hebammen mit primitiven Instrumenten ausgeführt, was Komplikationen verursacht, die manchmal zum Tod führen. Wir verfügen über zahlreiche bedrückende Zeugnisse über die Beschneidung von Frauen, aber über kein einziges Zeugnis über die Beschneidung von Männern, da sich niemand dafür interessiert. Dennoch habe ich noch heute den Klang der Schreie meiner kleinen muslimischen Nachbarn im Ohr, die beschnitten wurden als ich jung war.
Zitieren wir hier das kürzeste und am wenigsten schreckliche Zeugnis einer Frau, das von Samia, einer in einem kleinen ägyptischen Dorf nahe der sudanesischen Grenze geborenen Muslima, die in Kairo lebt:
"Ich war sieben Jahre alt als ich beschnitten wurde. Ich erinnere mich an Erzählungen von Frauen meines Dorfes, die von dieser Operation erzählten als ob ihr Leben zu diesem Zeitpunkt aufgehört hätte. Die Grausamkeit ihrer Beschreibungen und gleichzeitig das Gefühl, einem Schicksal ausgeliefert zu sein, dem ich nicht entfliehen konnte, haben in mir eine derartige Panik ausgelöst, daß ich mich als der gefürchtete Tag kam erbrechen mußte. Das, was danach passierte, brennt noch so sehr in meinem Fleisch, daß es oft vorkommt, daß ich mitten in der Nacht schreiend aufwache und nach meiner Mutter rufe.";[23]
Das Opfer wird gewöhnlich ohne Betäubung verstümmelt, in Rückentage, die Schenkel von Helfern auseinandergedrückt, oder von einem/einer, der/die sich auf das junge Mädchen legt und ihm die Knöchel mit den Füßen umbiegt. Um ein kleines siebenjähriges Mädchen festzuhalten, braucht man manchmal die Unterstützung von fünf Personen, um den Kopf, die beiden Hände und die beiden Beine zu halten. Wenn es ein kleines Mädchen ist, kann ihm ein einziger Helfer gleichzeitig den Körper und die Schenkel halten, indem man es in sitzender Position festhält.
Man unterscheidet mehrere Kategorien bei der Beschneidung von Männern:
Uns interessiert hier nur die erste Kategorie wegen ihrer Häufigkeit und wegen ihres rituellen Charakters. Die drei anderen Kategorien scheinen kaum ausgeführt zu werden, und wir verfügen über kein ausreichendes Material darüber[24].;
Man unterscheidet auch mehrere Formen der Beschneidung von Frauen. Die so genannte sunnah Beschneidung oder die der Überlieferung Muhammads entsprechende. Die religiösen Kreise, die diese Form der Beschneidung von Frauen verteidigen, präzisieren nicht immer worin sie besteht. Nach einen klassischen Autor, Al-Mawardi "beschränkt sie sich darauf, ein mandelförmiges Hautstück, das sich an der Spitze des Organs befindet, abzuschneiden. Man soll also nur das hervorstehende Häutchen abschneiden, ohne bis zur Amputation zu gehen".[25] Für Dr. Hamid Al-Ghawabi handelt es sich darum, auch die Klitoris sowie die kleinen Schamlippen herauszuschneiden[26]. Dr. Mahran zufolge schneidet man die Spitze der Klitoris sowie die hinter den kleinen Schamlippen liegenden Teile ab.[27]
Wir heben hervor, daß der Westen in der Vergangenheit die Beschneidung von Frauen und vor allem die Infibulation praktiziert hat. Eine Form der Keuschheitsgürtel bestand darin, Ringe durch die Schamlippen und die Vulva zu ziehen und diese mit einem Eisendraht oder einem Vorhängeschloß zu schließen, von dem der Mann selbst den Schlüssel aufbewahrte, vor allem wenn er fortging.[30] In Rußland praktizierten die Skopotzky (Beschneider), die Christen sind, die Beschneidung, um ewige Jungfräulichkeit zu garantieren; sie berufen sich auf das Matthäusevangelium, 19,12: "manche haben sich selbst dazu [zu Eunuchen] gemacht - um des Himmelreichs willen".[31] Eine bestimmte Form der Beschneidung von Frauen, die der Stamm der Kikuyu in Kenia praktiziert, soll heute in bestimmten Pariser Krankenhäusern ausgeführt werden, um die sexuelle Empfindungsfähigkeit gewisser wohlhabender Frauen zu steigern. Man löst die Klitoris und drückt sie in das Innere der Vagina. Diese Operation soll die sexuelle Empfindungsfähigkeit der Frauen steigern.[32]
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In formaler Hinsicht hat das islamische Recht zwei Hauptquellen: den Koran und die Sammlung der Sunna (Überlieferung: Worte und Taten) Muhammads, denen man den idschtihad, die Doktrin der islamischen Rechtsschulen durch die Jahrhunderte, hinzufügen muß.
In der heutigen Zeit erlangt eine besondere Kategorie des idschtihad zunehmend Bedeutung. Es handelt sich um die fatwas, Meinungen muslimischer religiöser Gelehrter, die oft in einer für die Öffentlichkeit verständlichen Sprache formuliert sind und Verhaltensregeln angeben, denen man folgen muß, um mit dem Willen Gottes übereinzustimmen.[33] Obwohl sie juristisch nicht verbindlich sind, binden die fatwas den Gläubigen moralisch nicht weniger und bilden manchmal die erste Etappe zur Bekanntmachung oder Veränderung von Gesetzen. Sie werden schriftlich oder mündlich festgesetzt und sind oft Gegenstand von in großem Umfang verkauften Publikationen.[34] Eine große Anzahl befaßt sich mit der Beschneidung von Männern und Frauen.
Wir beschränken uns hier auf Werke und Sammlungen moderner vor allem ägyptischer fatwas, die sich auf Klassiker des muslimischen Rechts beziehen. Diese Auswahl wird durch die Tatsache gerechtfertigt, daß die Öffentlichkeit selten Zugang zu den im eigentlichen Sinne klassischen Werken hat.
Der Koran erwähnt weder die Beschneidung von Männern, noch die Beschneidung von Frauen. Eine erweiterte Interpretation von Vers 2,124 läßt Spuren davon erkennen:
"Und (damals) als Abraham von seinem Herrn mit Worten auf die Probe gestellt wurde! Und er erfüllte sie. Er sagte: `Ich will dich zu einem Vorbild (imam) für die Menschen machen'."
Einer der Befehle, die Abraham gegeben wurden, um ihn auf die Probe zu stellen, soll die Beschneidung gewesen sein, von der einige Aussprüche Muhammads erzählen. Nun, Abraham ist ein Vorbild, dem ein Muslim aufgrund von Vers 16,123 folgen muß:
"Wir haben dir dann offenbart: Daraufhin haben wir dir (die Weisung) eingegeben: Folg der Religion (milla) Abrahams, eines Hanifen - Er war kein Heide.[35]
Man findet hier die Regel des islamischen Rechts wieder, daß alle Normen, die den Propheten vor Muhammad offenbart worden sind, aufrechterhalten werden, wenn sie nicht ausdrücklich außer Kraft gesetzt werden. Auf diese Weise wird die Bibel durch ein System des Verweises zu einer Rechtsquelle für die Muslime. Dort ist zu lesen:
"Und Gott sprach zu Abraham:"...Das ist mein Bund zwischen mir und euch samt deinen Nachkommen, den ihr halten sollt: Alles, was männlich ist unter euch, muß beschnitten werden. Am Fleisch eurer Vorhaut müßt ihr euch beschneiden lassen. Das soll geschehen zum Zeichen des Bundes zwischen mir und euch. Alle männlichen Kinder bei euch müssen, sobald sie acht Tage alt sind, beschnitten werden in jeder eurer Generationen... So soll mein Bund, dessen Zeichen ihr an eurem Fleisch tragt, ein ewiger Bund sein. Ein Unbeschnittener, eine männliche Person, die am Fleisch ihrer Vorhaut nicht beschnitten ist, soll aus ihrem Stammesverband ausgemerzt werden. Er hat meinen Bund gebrochen."[36]
Die Beschneidung als Zeichen des Bundes findet man nur noch an zwei anderen Bibelstellen wieder.[37] An anderer Stelle ist es epischer: König Saul verlangt von David 100 Vorhäute von Philistern, um ihm seine Tochter Michal zu geben. "und es war David recht, daß er so der Schwiegersohn des Königs werden sollte... David [machte] sich auf den Weg... er erschlug zweihundert von den Philistern, brachte ihre Vorhäute zum König und legte sie vollzählig vor ihn hin... Saul [erkannte] immer deutlicher, daß der Herr mit David war".[38]
Diese Interpretation der Koranverse mit Bezug auf die Bibel wird von Imam Mahmud Shaltut als mißbräuchlich (israf fi al-istidlal) betrachtet[39] Man kann hinzufügen, daß dieses textliche Argument, das auf einer jüdischen Norm beruht, nur die Beschneidung von Männern betrifft, aber nicht die Beschneidung von Frauen, die die Bibel nicht vorsieht und die die Juden nicht praktizieren (wenn man von den Falaschas absieht). A1-Sukkari antwortet, daß nach Ibn-Hagar die Juden beide Geschlechter beschneiden, daher lehnt er die Beschneidung von Frauen und Jungen am siebten Tag ab, um diesen nicht ähnlich zu sein. Und selbst wenn die authentische Bibel - die heutige wird für verfälscht gehalten - keinen Text über die Beschneidung von Mädchen enthält, müssen die Muslime sie dennoch ausführen, wenn das muslimische Recht diese vorsieht.[40]
Wir versuchen hier aus den Werken zeitgenössischer arabischer Autoren die verschiedenen Hadithe Muhammads über die Beschneidung von Männern und Frauen zusammenzustellen:
Die Schiiten fügen ein Hadith von Imam Al-Sadiq hinzu, das besagt: "Die Beschneidung von Frauen ist eine makrumah und was gibt es besseres als eine makrumah"! Al-Sadiq wird von ihnen auch als Überlieferer des Hadith' der Beschneiderin zitiert.[42]
Die Verfechter der Beschneidung (von Männern und Frauen) geben selbst zu, daß diese Muhammad zugeschriebenen Hadithe wenig glaubwürdig sind.[43] Mahmud Shaltut sagt, daß sie weder eindeutig[44] noch authentisch seien. Scheich Abbas, der Rektor des Islamischen Instituts der Moschee von Paris ist noch förmlicher:
Wenngleich für den Menschen die Beschneidung [von Männern] (auch wenn sie nicht verpflichtend ist) einen ästhetischen und hygienischen Zweck hat, gibt es keinen gültigen islamischen religiösen Text, der für die Beschneidung der Frau in Betracht gezogen werden kann. Beweis dafür ist, daß diese Praxis in der Mehrzahl der islamischen Länder völlig unbekannt ist. Und wenn einige Völker unglücklicherweise weiterhin die Exzision praktizieren, sogar bis zu dem Punkt, Frauen Schaden zuzufügen, hat dies mit Sicherheit seinen Ursprung in Sitten aus vorislamischer Zeit.[45]
Da die Beschneidung von Frauen im Koran und in den Sammlungen der Sunna eine wackelige Grundlage hat, versucht Al-Sukkari diese Grundlagen zu festigen, indem er sich auf die Sitte beruft, die eine Quelle islamischen Rechts darstellt. Für ihn ist die Beschneidung von Frauen zur Norm geworden, in dem Maße wie sie allgemein und seit langem praktiziert wird und nicht im Widerspruch zu einem religiösen Gesetzestext steht.
Er beruft sich auch auf die Regel, derzufolge alles was nicht verboten ist also erlaubt ist.[46] Da die Beschneidung von Frauen nicht ausdrücklich verboten ist, bleibt sie also erlaubt. Auch wenn die Hadithe, die sich auf die Beschneidung von Frauen beziehen, glaubwürdig sind, gibt es kein Hadith, das sie verbietet oder sie für tadelnswert erklärt. Eine Regel im islamischen Recht ist, daß es besser ist, eine Regel anzuwenden als sie aufzuheben[47]. Dieser Autor vergißt indessen, daß das islamische Recht erlaubt, eine Sitte abzuschaffen, die auf Unwissenheit beruht. Der Koran sagt dazu:
Andererseits kehrt er die Regel um. Statt die körperliche Unversehrtheit zum Prinzip zu erheben, plädiert er indirekt für das Prinzip der Verstümmelung.
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Dieses Argument läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: Kann man sich einen Gott vorstellen, der sich darin gefällt, seine Geschöpfe zu verstümmeln mit dem Ziel, diese wie Vieh zu brandmarken? Dr. Nawal El-Saadawi, Ägypterin, selbst beschnitten, schreibt: "Wenn Religion von Gott kommt, wie kann sie dem Menschen befehlen, ein von Ihm geschaffenes Organ abzuschneiden, solange dieses Organ nicht erkrankt oder verkrüppelt ist? Gott schafft keine Organe willkürlich ohne Plan. Es ist unmöglich, daß er die Klitoris am Körper der Frau geschaffen haben sollte, nur damit sie in einer frühen Lebensphase abgeschnitten wird. Dies ist ein Widerspruch, dem möglichst weder wahre Religion noch der Schöpfer verfallen sollte. Wenn Gott die Klitoris als sexuell sensibles Organ geschaffen hat, dessen einzige Funktion zu sein scheint, Frauen sexuelle Lust zu verschaffen, folgt daraus, daß Er diese Lust für Frauen als normal und legitim betrachtet und daher als integralen Bestandteil der mentalen Gesundheit.[48]"Sehr oft ist behauptet worden, daß der Islam die Wurzel der Beschneidung von Frauen ist und auch für die unterprivilegierte und rückschrittliche Stellung der Frauen in Ägypten und den arabischen Ländern verantwortlich ist. Eine solche Auffassung ist unwahr... Religion, die an den ursprünglichen Prinzipien, für die sie steht, festhält, strebt Wahrheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Liebe und ein gesundes ganzheitliches Leben für alle Menschen an, ob Mann oder Frau. Es kann keine wahre Religion geben, die Krankheit, Verstümmelung der Körper weiblicher Kinder und die Amputation eines wesentlichen Teils ihrer Reproduktionsorgane anstrebt".[49]
Dieses Argument wird von Rénée Saurel wiederaufgenommen. Sie schreibt:
"Im Gegensatz zum Christentum und zum Judentum erlaubt und empfiehlt der Koran, der Frau körperliche und mentale Lust, die man zu zweit im Liebesakt findet, zuzugestehen. Und verletztes, gefoltertes und amputiertes Fleisch hat niemals zum Genießen beigetragen, zum Segen, die Fähigkeit Zuteilbekommen zu haben, die Lust zu suchen und dem Schmerz zu entfliehen."[50]
Die beiden oben erwähnten Quellen beziehen sich auf die Religion, auf den Islam, das Christentum und das Judentum. Es sind abstrakte Begriffe, die die widersprüchlichsten Elemente enthalten. Es ist vorzuziehen, sich auf schriftliche Quellen zu beziehen, als auf abstrakte Begriffe. Hervorzuheben ist auch, daß dieses Argument sowohl gegen die Beschneidung von Frauen als auch von Männern gültig ist. Diese Autoren berufen sich dagegen nur gegen die Beschneidung von Frauen darauf
Es ist nicht schwierig, für das vorhergehende Argument im Koran selbst eine Stütze zu finden. In der Tat verbietet der Koran-Vers 4:119 dem Menschen Gottes Schöpfung zu verändern:
"(Der Teufel sagt): `Ich will mir von deinen Dienern einen (für mich von vornherein) festgesetzten Anteil nehmen'," und "ich will sie irreführen und (nichtige) Wünsche in ihnen wecken und ihnen befehlen, den (geweihten?) Herdentieren die Ohren abzuschneiden und die Schöpfung Gottes zu verändern."
Dieser Vers soll Veränderungen der Schöpfung Gottes verurteilen. Er wird von den Islamisten zitiert, um sich gegen dauerhafte Empfängnisverhütung zu wenden, seien es Maßnahmen, die den Mann oder die Frau betreffen[51]. Merkwürdigerweise vergessen die Befürworter der Beschneidung von Männern und Frauen vollkommen diesen Vers. Sie vergessen auch den folgenden:
"(Er) der alles, was er geschaffen, gut gemacht hat." (Koran 32,7)
Aziza Kamel, Gegnerin der Beschneidung von Frauen, beruft sich auf diesen Vers und fügt hinzu:
;"Die Exzision ist eine Entstellung dessen, was Gott geschaffen hat, während Gott zufrieden mit seiner Schöpfung ist."[52]
Muhammad hat Bauern vorgeschrieben, die Bestäubung der Dattelbäume nicht zu praktizieren. In diesem Jahr haben die Dattelbäume keine Früchte getragen. Nachdem die Bauern Muhammad um Erklärungen gebeten haben, erhielten sie als Antwort: "Ihr kennt besser (als ich) eure irdischen Angelegenheiten".
Die letzte Passage des Hadith' wird von Scheich Hassan Ahmed Abo Sabib aus dem Sudan in seinem Beitrag im Seminar über traditionelle Praktiken, die Folgen für die Gesundheit von Frauen und Kindern in Afrika haben (Dakar, 6-10. Februar 1984), zitiert. Mit diesem Hadith gewappnet, schloß er, daß die Beschneidung von Frauen verboten werden müsse, da die Medizin bewiesen habe, daß sie schädlich sei. Denn, sagt er, der Koran verbietet dem Menschen, sich selbst zu schaden aufgrund von Vers 2:195: "Und stürzt euch nicht ins Verderben".
Andererseits sagt Muhammad: "Derjenige, der einem Gläubigen schadet, schadet mir, und wer mir schadet, der schadet Gott."
Der sudanesische Scheich hat seine Überlegungen nicht zuende geführt. Im Dattelbaum-Hadith wollte Muhammad sich nicht als unfehlbar in Botanik zeigen und gab gleichzeitig zu, daß die Bauern über diese Materie mehr wußten als er, obwohl er Prophet war. Wenn man den Hadith analog auf die Beschneidung von Männern und Frauen bezieht, bedeutet dies, daß Muhammad zwar eine Meinung darüber geäußert haben kann, daß seine Meinung auf diesem Gebiet aber nicht unfehlbar ist und daß ihr aus medizinischer Sicht widersprochen werden könnte.
Unser Scheich geht nicht so weit. Er trennt Muhammads Antwort aus dem Zusammenhang des Dattelbaum-Hadith' und beschränkt sich darauf zu sagen, daß Muhammads Aussprüche über die Beschneidung von Frauen nicht zuverlässig sind, indem er sich auf die Autorität von Imam Shaltut, seinesgleichen, beruft. Er zieht daraus die Konsequenz, daß die Frage der Beschneidung von Männern und Frauen im Hinblick auf deren schlechte und gute Folgen beurteilt werden muß.[53]
Trotz dieser kleinen Inkohärenz, ist diese Meinung die expliziteste, die wir von einem zeitgenössischen Muslim mit Verantwortung in religiösen Angelegenheiten gegen die Beschneidung von Frauen kennen.
Alle oben erwähnten religiösen Argumente werden einzig und allein gegen die Beschneidung von Frauen vorgebracht. Obwohl sie leicht genauso auf die Beschneidung von Männern übertragen werden könnten, tun ihre Urheber dies nicht. Nicht ohne Grund.
In der Tat wird dem einzigen muslimischen Autor, der die Beschneidung von Männern in Zweifel gezogen hat, zur Zeit der Prozeß gemacht, und ihm droht die Verurteilung zum Tod wegen Apostasie. Es handelt sich um den pensionierten Richter Mustafa Kamal Al-Mahdawi. Letzterer, ein persönlicher Freund, ist momentan einer grausamen Kampagne ausgesetzt, die von libyschen religiösen Kreisen in den Moscheen und in der Presse lanciert wird. Der Prediger der Moschee des Propheten im saudiarabischen Medina hat im Juli 1992 eine Broschüre veröffentlicht, die gratis in Libyen verteilt wird und in der er die Liga der Islamischen Welt und die Organisation der Islamische Konferenz auffordert, eine gemeinsame fatwa der muslimischen Gelehrten gegen diesen Richter zu erlassen und ihn als Apostaten hinzurichten, wenn er nicht widerruft.
Was sein Buch betrifft, verlangt er, daß es vom Markt genommen, verbrannt und allen Lesern verboten werden solle. Er wirft ihm unter anderem vor, die Beschneidungspflicht für Jungen negiert zu haben, obwohl es eine einhellige Meinung in dieser Frage gebe und Muhammad selbst beschnitten war.[54]
Dieser libysche Richter behauptet in der Tat, daß die Beschneidung von Männern eine Sitte der Juden sei, die glaubten, daß ihr Gott sie nur sähe, wenn sie unterscheidende Zeichen wie die Beschneidung oder Blut an den Türen hätten. Er spielt hier auf den Befehl an, den Gott den Juden gegeben hat, die beiden Türpfosten und den Türsturz des Hauses mit dem Blut des zum Passahfest geopferten Tieres zu benetzen, da er die Absicht hatte, die ersten Neugeborenen in Ägypten zu erschlagen. Gott sagt zu Moses und Aaron: "Das Blut an den Häusern, in denen ihr wohnt, soll ein Zeichen zu eurem Schutz sein. Wenn ich das Blut sehe, werde ich an euch vorübergehen, und das vernichtende Unheil wird euch nicht treffen, wenn ich in Ägypten dreinschlage.[55] Der libysche Richter fügt hinzu, daß der Koran keinen einzigen Bezug zu "dieser seltsamen Logik" enthält. Seiner Meinung nach könne Gott sich solchen Tändeleien nicht widmen [56] sowie er die Vorhaut nicht als überflüssiges Teil, das man abschneiden kann, geschaffen hat. Er zitiert hier den Koranvers 3,191, der aussagt:
"Herr! Du hast das (alles) nicht umsonst geschaffen. Gepriesen seist du!... Bewahre uns vor der Strafe des Höllenfeuers."[57]
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Eine Handlung zu beurteilen bedeutet, sie als verboten zu erklären, als tadelnswert, empfehlenswert, erlaubt oder verpflichtend. Das sind die fünf Hauptkriterien, nach denen die Handlungen des muslimischen Gläubigen eingeordnet werden. Die Gegner der Beschneidung betrachten sie als verboten, wenn es sich um Mädchen handelt. Im Gegensatz dazu, wenden sie sich nicht gegen die Beschneidung von Jungen und betrachten sie sogar als verpflichtend.
Was die Verfechter der Beschneidung von Männern und Frauen betrifft, so sind sie hinsichtlich ihrer Beurteilung gespalten. Drei Meinungen sind dazu geäußert worden:
Imam Ahmad erlaubt das Gebet und die Pilgerfahrt nur einem Beschnittenen. Imam Malik lehnt den Zugang zu einem öffentlichen Amt und das Zeugnis eines Unbeschnittenen ab. Andere gehen so weit, den Verzehr eines von einem Unbeschnittenen getöteten Tieres zu verbieten.[58] Diese Strömung beruft sich auf folgende Argumente
Nach dieser Strömung ist die Beschneidung von Männern und Frauen auf die Sunnah zurückzuführen, auf einen Begriff, über dessen Bedeutung die Rechtsgelehrten sich nicht einig sind. Er kann zwei Bedeutungen haben: die Überlieferung Muhammads, oder ganz einfach eine Sitte aus der Zeit Muhammads.[60] Insofern sie Sunnah ist, wäre sie empfehlenswert und nicht verpflichtend.[61]
Die Anhänger dieser Strömung berufen sich auf den Hadith, der die Beschneidung von Männern und Frauen mit einer weiter oben zitierten fitrah gleichsetzt. In dieser Hinsicht zielt sie auf die Vervollkommnung des Menschen ab. Obwohl sie empfehlenswert ist, ist der Muslim nicht gehalten, sie zu praktizieren. Sie fügen hinzu, daß zahlreiche Menschen sich dem Islam angeschlossen haben und Muhammad niemals (unter ihre Kleider) geschaut hat, um herauszufinden, ob sie beschnitten waren oder nicht.[62]
Moderne Autoren plädieren für diese Auffassung. Einige präzisieren, daß es sich um eine makrumah handelt.A1-Sukkari sagt, daß die Beschneidung von Männern verpflichtend sei wegen der Gerüche und abstoßender fettiger Flüssigkeiten, die durch die Vorhaut produziert und zurückgehalten werden. Diese Unreinheit verhindert die Gültigkeit des Gebets. Da die Reinheit für das Gebet notwendig ist, wird die Beschneidung nach der rechtlichen Regel notwendig, die besagt: "was für die Erfüllung einer Pflicht notwendig ist, wird ebenfalls verpflichtend".
Im Gegensatz dazu wird die Beschneidung von Frauen nur empfohlen, da diese keine Vorhaut haben und daher nicht von einer derartigen Unreinheit betroffen sind. Zwei Gründe fundieren diese Empfehlung:
Der Begriff makrumah ist noch lange nicht geklärt. Für Professor `Abd-al-Wahhab Khallaf bedeutet dieser Begriff, daß die Beschneidung von Frauen das Vergnügen des Mannes steigern würde".[64] Shaltut sagt, daß die Beschneidung von Frauen eine makrumah für die Männer ist, die nicht daran gewöhnt sind, den hervorragenden Teil zu spüren.[65]
Die Mehrheit der Meinungen übersetzt dieses Wort indessen als lobenswerten Akt, der verdienstvoll für die Frau ist. Das ist die Meinung von Professor Zakariyya Al-Birri. Ihm zufolge ist es notwendig, die Beschneidung von Frauen zu praktizieren. Derjenige, der sie nicht praktiziert, begeht dennoch keine Sünde, wenn er davon überzeugt ist, im Lichte der religiösen Texte und der Ratschläge von Fachärzten nicht dazu gehalten zu sein.[66] Al-Qaradawi läßt den Eltern die Entscheidung gemäß ihrer Überzeugung, wobei er selbst vorzieht, die Beschneidung von Frauen zu praktizieren, da sie die Moral der Töchter "vor allem in unserer Zeit" erhält.[67]
Eine fatwa der ägyptischen Fatwa-Kommission vom 28. Mai 1949 hat ebenfalls erklärt, daß der Verzicht auf die Beschneidung von Frauen keine Sünde ist.[68] Eine andere fatwa dieser Organisation vom 23. Juni 1951 ist strenger. Sie sieht nicht nur die Möglichkeit, auf die Beschneidung zu verzichten nicht vor, sondern sie meint, daß es wünschenswert sei, sie zu praktizieren, weil sie die Natur mäßigt. Darüberhinaus erlaubt sie nicht die Ansichten von Ärzten über ihre negativen Folgen in Betracht zu ziehen.[69]
Eine dritte fatwa der gleichen Organisation vom 29. Januar 1981, zeigt sich, obwohl sie detaillierter ist, offen feindselig in bezug auf den Verzicht auf die Beschneidung von Frauen. Autor dieser fatwa ist der momentane Großscheich der Azhar. Er behauptet dort, daß es nicht möglich sei, die Lehren Muhammads zugunsten der Lehren anderer aufzugeben, sei es ein Arzt, weil die Medizin sich entwickelt und nicht beständig ist. Die Verantwortung für die Beschneidung von Mädchen fällt den Eltern und denjenigen, die damit beauftragt sind, zu. Diejenigen, die sie nicht ausführen, erfüllen ihre Pflicht nicht.[70]
Al-Sukkari versucht die Unterscheidung zwischen Jungen und Mädchen vordem religiösen Gesetz zu erklären:
Die Rechtsgelehrten haben sich die Frage gestellt, ob die öffentliche Autorität, einen Muslim zwingen kann, sich zu beschneiden, vor allem in fortgeschrittenem Alter. Die Zayditen und die Schafi'iten bestätigen dies. Nach der hanafitischen Schule kann der Staatschef, wenn eine Gruppe die Beschneidung von Männern ablehnt, dieser den Krieg erklären. Einige sagen dagegen, daß man jemandem die Beschneidung erlassen kann, wenn sie eine Gefahr für seine Gesundheit darstellt. Al-Sukkari, ein moderner Autor, meint, daß die Frage der Gesundheit sich heute nicht stelle. Der Muslim, der um seine Gesundheit fürchtet, kann sich an einen Arzt wenden, der dazu die Anästhesie und moderne Geräte einsetzt.
Die Hanbaliten sagen, daß die Beschneidung von Männern und Frauen ein islamisches Ritual sei; der Mann kann seine Frau zwingen, sich zu beschneiden sowie zu beten. Die Ibaditen betrachten die Ehe eines Unbeschnittenen als nichtig, auch wenn sie vollzogen worden ist. Die Frau kann vom Richter verlangen, von ihrem Mann getrennt zu werden. Wenn der Ehemann sich nach vollzogener Ehe beschneidet, bleibt die Ehe ungültig; er muß erneut heiraten, um seine Frau wiederzubekommen. Für die Hanbaliten ist die Nichtbeschneidung des Mannes ein Verstoß gegen den Vertrag, der der Frau die Wahl läßt, die Scheidung zu verlangen oder die Ehe aufrechtzuerhalten. Für einige hat ein Unbeschnittener kein Vormundschaftsrecht über einen Muslim und kein Recht, sein Einverständnis zur Ehe eines muslimischen Verwandten zu geben. In diesem Fall wird die Ehe aufgelöst, außer wenn sie vollzogen worden ist.
Al-Sukkari, ein moderner Autor, gesteht der Frau das Recht zu, die Ehe aufzulösen, wenn der Ehemann nicht beschnitten ist, weil die Vorhaut ein Träger von Krankheiten sein kann. Diese kann auch Ursache von Ekel sein, der verhindert, die Ziele der Ehe zu erfüllen, nämlich die Liebe und Eintracht zwischen den Verbundenen. Die Frau hat das Recht, mit einem schönen und sauberen Mann verheiratet zu sein, da der Islam die Religion der Sauberkeit und der Reinheit ist.[73]
Ahmad Amin unterstreicht die Bedeutung der Beschneidung im Bewußtsein des Ägypters durch eine Anekdote: ein sudanesischer Stamm wollte zum Islam übertreten. Sein Oberhaupt hat an einen Gelehrten der Azhar geschrieben, um zu fragen, was zu tun sei. Der Gelehrte hat ihm eine Liste von Anforderungen geschickt, auf der an erster Stelle die Beschneidung stand. Der Stamm verzichtete daraufhin muslimisch zu werden.[74]
Für die Mehrzahl der Gläubigen impliziert die Zugehörigkeit zum Islam notwendigerweise die Beschneidung der Jungen. In Java bedeutet, einen Jungen zu beschneiden, jemanden im Schoß des Islams zu empfangen; in Algier bezeichneten die französischsprachigen Einladungskarten zu dieser Zeremonie diese mit dem Namen Taufe (baptême). lm muslimischen Leben ist diese ein bedeutendes Familienfest, was für die Beschneidung der Mädchen nicht zutrifft, die im Verborgenen gemacht wird.[75] Den saudischen religiösen Autoritäten zufolge muß ein Mann, der zum Islam übertritt, sich beschneiden, aber um zu verhindern, daß er sich weigert, sich dem Islam anzuschließen aus Abneigung gegen diese Operation, kann man diese Pflicht verschieben, bis der Glauben sich in seinem Herzen gefestigt hat.[76]
Auf gesellschaftlicher Ebene hat die Nichtbeschneidung von Frauen gravierende Folgen. In einigen Ländern heiraten unbeschnittene Mädchen nicht, und die Leute beginnen über sie als Personen mit einem schlechten Lebenswandel zu sprechen, die vom Teufel besessen sind. In Ägypten auf dem Land stellt die ältere Frau die die Beschneidung von Frauen ausführt, ein Zertifikat aus, das für die Ehe dient.[77] Wedad Zenie-Ziegler schreibt, daß die ägyptischen Bäuerinnen sich darüber wundern, daß ihre Mitbürgerinnen in Kairo nicht beschnitten sind. Sie "brechen in schallendes Gelächter aus, unterbrochen von ärgerlichen Ausrufen": "Man tut es wirklich nicht? Die Mädchen bleiben wie sie sind, ohne daß man sie beschneidet? Werden sie nicht zügellos?".[78] El-Masry dokumentiert die Aussagen einer ägyptischen Hebamme, die mehr als 1000 Mädchen beschnitten hat. Ihr zufolge "sollte man die Väter lynchen, die sich gegen die Beschneidung ihrer Töchter wenden, weil diese Väter schließlich akzeptierten, daß ihre Töchter Prostituierte werden".[79] Im Sudan, wo die Infibulation praktiziert wird, haben Brüder versucht, ihren jungen Schwestern diese Tortur zu ersparen. Die meisten von ihnen sind nach schrecklichen Auseinandersetzungen, in denen die Eltern ihnen vorwarfen, Verworfene zu sein und zu versuchen, ihre Schwestern zu entehren aus dem väterlichen Haus gejagt worden. Einige wenige haben Erfolg gehabt; aber, um Schluß zu machen mit dem "was werden die Nachbarn dazu sagen", sind sie dazu verpflichtet worden, ihre Schwestern nach Khartoum oder Atbara mitzunehmen und sie in ihrem Haus unterzubringen. "Denn im Sudan ist es genauso anormal, das Geschlecht der Mädchen nicht zuzunähen, wie im Westen, Kinder nicht zu baden. Die Nachbarn klatschen".[80]
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Die Beschneidung der Jungen besteht, nach den klassischen muslimischen Rechtsgelehrten, dar in, die Vorhaut zu beschneiden, vorzugsweise die gesamte. Wenn der Mann zwei Penisse hat, sagen einige, müssen beide beschnitten werden; andere sagen, daß man nur den, der uriniert, beschneiden muß. Wenn ein Kind beschnitten geboren wird, sagen einige, daß man es so lassen soll; nach anderen soll man mit dem Messer über die Stelle der Vorhaut fahren, um das Gebot zu erfüllen. Wenn die Beschneidung unvollständig ist, muß man sie vollenden.[81]
Al-Sukkari, ein moderner Autor, beschreibt die Beschneidung von Frauen wie folgt. "Man muß damit beginnen, Gott anzurufen, indem man die Formel rezitiert: im Namen des gnädigen und barmherzigen Gottes, gefolgt vom Lob Gottes und des Gebets über den Propheten, Begründer dieser höchsten makrumah". Die Beschneidung der Mädchen soll von einem Chirurgen oder einer Chirurgin muslimischen Glaubens und frommer Erscheinung ausgeführt werden, der/die Muhammads Lehren kennt. Man soll die besten medizinischen Mittel benutzen, um das Leiden zu reduzieren. Die Beschneidung des Mädchens soll bei Tage gemacht werden, damit der Arzt sie bei Tageslicht ausführen kann, jedoch in aller Verschwiegenheit nur in Anwesenheit des Vormunds des Mädchens oder seiner Mutter oder desjenigen, der am meisten Mitleid mit ihr hat.[82] Er führt nicht näher aus, worin die
Beschneidung von Frauen besteht. Für Gad-al-Haq besteht die Beschneidung von Frauen darin, "die Haut abzuschneiden, die sich über der Harnöffnung befindet, ohne zu übertreiben und ohne sie ganz zu entfernen".[83] Al-Sha'rawi präzisiert, daß es nicht notwendig ist, ein Mädchen zu beschneiden, wenn der hervorstehende Teil fehlt.[84]
Was weiter oben als der sunnah entsprechend dargestellt ist, bleibt im Bereich der Theorie. In der Praxis wird vor allem die Klitorisbeschneidung (in Ägypten) oder die Infibulation (im Sudan und in Somalia) praktiziert. Eine Studie hat gezeigt, daß im Sudan 64% der Beschneidungen von Mädchen von traditionellen Geburtshelfern, 35% von Hebammen und 0,7% von Ärzten ausgeführt worden sind.[85]
Die klassischen Autoren waren sich uneinig was die Hermaphroditen, zweigeschlechtliche Personen, betrifft. Einige sagen, daß beide Geschlechter beschnitten werden sollen; andere dagegen sagen, daß das Organ, das uriniert beschnitten werden soll in Analogie zur Reihenfolge[86]. Anderen zufolge muß man schließlich warten bis man weiß, welches Organ vorherrscht, um es zu beschneiden. Zur Vorbeugung wählt Al-Sukkari, ein moderner Autor, die erste Lösung, nämlich die Beschneidung beider Organe, um einen Irrtum zu vermeiden.[87]
Die Rechtsgelehrten vertreten keine einheitliche Meinung, was das Alter für die Beschneidung betrifft. Verschiedene Meinungen werden vorgebracht: zu jeder Zeit, in der Pubertät, vor dem Alter von 10 Jahren (das Alter, in dem Kinder geschlagen werden, um sie dazu zu zwingen, das Gebet zu verrichten), Jungen mit etwa sieben Jahren, am siebten Tag (einige, indem sie den Geburtstag in Betracht ziehen, andere nicht), vor allem nicht am siebten Tag oder davor (weil dies die Sitte der Juden ist, denen man sich möglichst nicht
angleichen möchte). Al-Mawardi schlägt vor, die Beschneidung spätestens mit sieben Jahren, aber vorzugsweise mit sieben Tagen zu machen, sogar mit 40 Tagen ohne Nachteil. Das ist die Meinung, für die Al-Sukkari in bezug auf Jungen plädiert. Für Mädchen schlägt er das Alter zwischen sieben und zehn Jahren vor, damit sie die Operation ertragen können.[88]
Nach den Zeugnissen, die Wedad Zenie-Ziegler zusammengetragen hat, wird die Beschneidung von Frauen in Ägypten im Prinzip eine Woche nach der Geburt ausgeführt, aber manchmal tut man es mit zwei Monaten, manchmal mit sieben Monaten oder sogar mit sieben Jahren.[89] Nawal E1-Saadawi sagt, daß sie in Ägypten mit sieben oder acht Jahren stattfindet, bevor das Mädchen seine Menstruation bekommt.[90]
Die Rechtsgelehrten haben sich gefragt, ob man verstorbene Personen ohne Beschneidung beschneiden sollte. Die Mehrheit der Rechtsgelehrten lehnt eine solche Beschneidung ab, weil diese die Integrität des Körpers (hurmah) des Verstorbenen verletze und seine Scham ('awrah) zur Schau stelle; außerdem ist sie unnötig, weil ihr Zweck ist, eine kultische Handlung zu erfüllen und rein für das Gebet zu sein, was der Verstorbene nicht mehr braucht. Für andere ist die Beschneidung eines Toten notwendig; seine Vorhaut wird in das Leintuch gelegt. Sie berufen sich auf einen Hadith Muhammads, nach dem man mit den Toten das tun soll, was man mit den Personen tut, die heiraten. Al-Sukkari, ein moderner Autor, plädiert für die erste Meinung.[91]
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Der Koran sagt: "Er wird nicht zur Rechenschaft gezogen über das, was er tut. Aber sie werden zur Rechenschaft gezogen" (21,23). Gott muß also über seine Normen keine Rechenschaft ablegen, auch wenn die muslimischen Rechtsgelehrten den Gedanken verteidigen, daß die göttlichen Normen darauf abzielen, das Gute für den Menschen zu verwirklichen. Obwohl dessen Kriterien sich im Allgemeinen dem Menschen entziehen.
Sowohl bei den Muslimen als auch bei den Juden gibt es momentan eine Tendenz, a posteriori religiöse Normen rechtfertigen zu wollen, indem man diesen wohltuende Auswirkungen - real oder fiktiv - zuschreibt. Das ist ein Rückgriff auf die Vernunft zur Rechtfertigung der Religion. Das ist der Fall bei der Beschneidung sowie bei den Speisevorschriften. Das bedeutet, daß man nicht mehr erlaubt, daß Gott menschliche Wesen leiden lassen könnte mit dem einzigen Ziel, sie wie Vieh zu brandmarken.
Die Verfechter der Beschneidung von Männern und Frauen werden sich, nachdem sie die Existenz einer religiösen Norm dafür bewiesen haben, an die harte Arbeit machen, ihre Vorzüge sowie die Nachteile der Nichtbeschneidung nachzuweisen, was ein Mittel ist, den Gläubigen zu trösten und den Gegnern etwas zu erwidern. Was die Gegner (der Beschneidung von Frauen) betrifft, falls diese keine Ungläubigen sind, die jede religiöse Legitimation ablehnen, kämpfen sie an zwei Fronten: nachdem sie die Existenz einer religiösen Norm, die die Beschneidung von Frauen vorschreibt (die einzige, die sie interessiert) verneint haben, werden sie versuchen, ihre Schädlichkeit nachzuweisen, um sie verbieten zu können.
Und wenn es der Vernunft nicht gelingt, die Religion zu beweisen? Dann lehnt man sie ab, wie man später sehen wird.
Die muslimischen Autoren gehen schnell über die Beschneidung von Männern hinweg. Sie sehen in ihr nur Vorzüge, und sie löst vor allem im Westen keine Debatte aus. Die Nichtbeschneidung von Jungen, behauptet Dr. Al-Hadidi (ein Gegner der Beschneidung von Frauen), kann Entzündungen am Penis infolge von Urhintropfen zur Folge haben. Das kann bis zum Krebs gehen, der dazu führt, daß der Penis vollständig amputiert wird.[92] Die Beschneidung beuge sogar Krebs bei der Partnerin des Beschnittenen vor, ein Vorteil, der von Dr. Al-Fangari herausgestellt wird, der hinzufügt, daß sie dazu verhilft, den Geschlechtsakt zu verlängern, wegen der Freilegung der Eichel.[93] Ähnliche Argumente finden sich bei ihren jüdischen Kollegen. Was die Christen erbleichen läßt, denen Paulus die Beschneidung im Herzen anstelle der Beschneidung am Fleisch vorschlägt![94] Wenn Paulus nur unsere muslimischen und jüdischen medizinischen Experten hätte hören können, bevor er die Pflicht sich zu beschneiden abschaffte!
Imam Shaltut sieht keine Basis für die Beschneidung von Männern oder Frauen, weder im Koran noch in der Sunna Muhammads. Sie muß also nach dem allgemeinen islamischen Prinzip beurteilt werden, das verbietet, jemanden leiden zu lassen, wenn es nicht zu seinem Wohl ist und der Vorteil den Nachteil überwiegt. Für Jungen, behauptet er, ist die Beschneidung vorteilhaft, weil durch sie die Vorhaut entfernt wird, die Schmutz zurückhält und Krebs und andere Krankheiten fördert. Sie ist also eine vorbeugende und schützende Maßnahme. Daher ihr verpflichtender Charakter im islamischen Recht.[95]
Logischerweise müßte man die Beschneidung von Männern verallgemeinern, wenn sie so vorteilhaft ist. Man kann jedoch die Beschneidung von Männern nicht aufgrund ihres Nutzens in Krankheitsfällen verteidigen. Ein Fuß kann auf medizinische Anweisung amputiert werden, wenn er von Wundbrand befallen ist, und die Amputation ist in diesem Fall von Nutzen. Niemand würde für die generelle Amputation von Füßen plädieren gegenüber von Anhängern bestimmter Religionen. Es sei denn, Logik verpflichtet, diese Anhänger hätten andere Penisse als ihre Mitmenschen.
Wir machen hier darauf aufmerksam, daß die Beschneidung Anhänger gefunden hat unter Christen, die die Bibel für ein wissenschaftliches Buch halten. Das ist vor allem in den Vereinigten Staaten der Fall, wo Geburtshelfer "nach der Geburt die Vorhaut zukünftiger Methodisten, Adventisten, Katholiken, Anhängern von Love, wenn es sich nicht um rechtschaffene Atheisten handelt, beschneiden". Für sie können unbeschnittene Männer "nur Landbewohner oder seit kurzem Ansässige sein".[96]
Man schätzt die Zahl der Beschnittenen in diesem Land auf 50% der Neugeborenen. Aber 1975 hat die amerikanische Gesundheitskommission ein Dekret erlassen, das die Beschneidung nicht als eine positive Hygienemaßnahme beurteilt. Seitdem hat sich die Zahl der Beschneidungen beträchtlich reduziert.[97] Die Anhänger der Beschneidung haben dann eine Kampagne gestartet, um diese Kommission zum Überdenken ihrer Entscheidung zu bewegen, indem sie behaupten, daß die Beschneidung Infektionen der Harnwege bei Kindern vorbeugen würde, und sogar der Übertragung von AIDS, was schwedische Experten dementiert haben.[98]
Wir haben es weiter oben gesagt, die Beschneidung von Männern interessiert fast niemanden. Der oben zitierte Dr. Gérard Zwang gehört zu den wenigen Gegnern der Beschneidung von Männern. Er sieht nicht nur keinen Nutzen in ihr, sondern stellt auch ihre schädlichen Folgen heraus- Er schreibt: "Das größte Mißtrauen ist erforderlich wenn Zauberer und Fetischpriester versuchen, die rituellen sexuellen Verstümmelungen unwiderlegbar zu rechtfertigen (es sei denn man gehört zu diesen unheilbar naiven Ethnographen). Obwohl sie einzige Erben einer außereuropäischen Kultur sind, vom wissenschaftlichen Denken berührt sind und oft dazu beitragen, diese auszuarbeiten, kommen doch von Seiten der Judenchristen gewöhnlich die scheinbar "logischen" Argumente für die Beschneidung."[99]
Er nennt fünf Arten "vernünftiger" Gründe, die von Befürwortern der Beschneidung im Westen vorgebracht werden, Gründe, die sich mit den von Muslimen vorgebrachten überschneiden, nämlich:
Nachdem er diese Argumente eins nach dem anderen demontiert hat,[100] zeigt er, daß die Vorhaut dem Kind als Schutz dient, der verhindert, daß die Eichel permanent "im Pipi" liegt, und sie schützt diese vor Reizungen und Entzündungen im Kontakt mit Urhingetränkter Kleidung, Windeln und Betten. Er behauptet, daß die Beschneidung bei der Geburt "fast immer verantwortlich ist für die entzündliche Verengung der Harnröhre". Dieser Schutz der Eichel und des Glieds setzt sich im Geschlechtsakt fort, daher der Nutzen der Vorhaut im Gefühlsleben während der Kindheit, in der Jugend und im Erwachsenenalter auf dieser Ebene.[101]
Er schließt, "daß es keinen [medizinischen] Grund gibt, systematisch Neugeborene, kleinen Jungen oder Erwachsenen eines integralen Bestandteils der normalen menschlichen Anatomie zu berauben". Er rät sogar bei. kranken Vorhäuten von der Beschneidung ab und zieht kleine chirurgische Eingriffe, die die Vorhaut bewahren, vor. Er lobt, daß plastische Chirurgen die technische Möglichkeit einer Rekonstruktion der Vorhaut bei Beschnittenen erforschen, die vom "peeling balanique", einer negativen Folge der Beschneidung, betroffen sind.[102]
Was die Chirurgen betrifft, die gebeten werden, die Beschneidung auszuführen, empfiehlt er ihnen diese zu verweigern. Wenn ein Erwachsener sie verlangt, hat der Chirurg das Recht, das Gewissensargument geltend zu machen, wovon einige Gebrauch machen, bei allem Liberalismus, um einen Schwangerschaftsabbruch nicht auszuführen. Wenn es Eltern sind, die ein normales Kind hinbringen "kann der Chirurg die Unmöglichkeit, das Delikt von Schlägen und Verletzungen an einem Minderjährigen zu begehen, geltend machen und raten, die Volljährigkeit des Sprößlings abzuwarten".[103]
Mr. Valla, Präsident der Vereinigung gegen Verstümmelung von Kindern, zögert nicht, die Beschneidung von Männern als echte Exzision zu beurteilen. Ihmzufolge verursacht heute die Beschneidung von Männern den Tod von mehreren Dutzend Babys jenseits des Atlantiks. Außerdem verursacht sie zahlreiche Komplikationen wie Blutungen, Infektionen, eine Verminderung der Sensibilität der Eichel des Glieds, sowie in einigen Fällen eine Verarmung des Liebeslebens.[104]
Man müßte vielleicht die Ansichten der Ärzte durch Meinungen von Psychologen ergänzen, um auf die Frage zu antworten, ob man jeden schädlichen Effekt einer verstümmelnden Operation, die oft ohne Anästhesie ausgeführt wird, ausschließen kann?
Uns fehlen Statistiken, um zum Beispiel den prozentualen Anteil von beschnittenen Personen in Relation zu unbeschnittenen Personen festzustellen, die unter Paranoia leiden? Dies erscheint uns wichtig, um die positiven und die negativen Folgen der Beschneidung festzustellen.[105]
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Die nicht mit der sunnah im Einklang stehende Beschneidung wird von allen muslimisch-religiösen Kreisen verurteilt. Für einige "ist die Praxis der Beschneidung von Frauen, wie sie von Frauen in rückständigen Gegenden an ihren Töchter praktiziert wird, ein gesetzlich zu bestrafendes Delikt.[106] Man findet niemanden, der sie verteidigt, obwohl es die am meisten praktizierte Form in den muslimischen Ländern ist. Diese Verurteilung basiert vor allem auf dem weiter oben zitierten Hadith der Beschneiderin. Das seltsamste daran ist, daß diese religiösen Kreise nicht versuchen, Nutzen aus diesem Hadith zu ziehen, um diese Praxis
zu bekämpfen. Zum Beispiel schätzt man die Zahl der beschnittenen Frauen im Nordsudan auf 89,2%: 82,3% in Form der Infibulation; nur 19,2% der Christinnen sind auf diese Weise beschnitten. Mehr Christen (57,7%) als Muslime (20,8%) würden die Abschaffung dieser Praxis für ihre Töchter befürworten.[107]
Wenn diese religiösen Gelehrten, allesamt Machos, sich der nicht mit der sunnah im Einklang stehenden Beschneidung von Frauen widersetzen, stimmen sie nicht weniger der sunnah-Beschneidung zu. Diese Form der Beschneidung von Frauen ist übrigens nicht sehr präzise: für einige handelt es sich darum, leicht etwas von der Haut der Klitoris abzunehmen, indem man "den Hadith der Beschneiderin" anwendet; für andere handelt es sich darum, die Klitoris und die kleinen Schamlippen wegzuschneiden.
Das Ziel der sunnah-gemäßen Beschneidung von Frauen wird ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen von Al-I'tissam, der Kairoer islamistischen Zeitschrift ausgesprochen. Diese Zeitschrift wendet sich gegen die OMS, "die die Wahrheiten des Islams verdreht"; sie fordert von der Azhar und den religiösen Gelehrten "die Augen zu öffnen und aufmerksam zu sein gegenüber Ideen die von außen kommen, um sie zu bekämpfen und ihre Unsinnigkeit zu beweisen und die islamischen Sitten zu bewahren".[108] Hier die positiven Auswirkungen der Beschneidung von Frauen gemäß ihrer männlichen Verteidiger:
Doktor Hamid Al-Ghawabi behauptet, daß die schlechten Gerüche der Frau nur unterdrückt werden können, wie immer die Reinlichkeit sei, wenn ihre Klitoris und ihre Schamlippen beschnitten werden[109].
Die Zahl der Frauen, die von Nymphomanie betroffen sind, ist geringer bei beschnittenen Frauen. Diese Krankheit kann sich auf den Mann übertragen und ihn sogar in den Tod führen[110]. Die Beschneidung von Frauen beugt Scheidenkrebs[111] und dem Anschwellen der Klitoris vor, was zur Masturbation oder homosexuellen Beziehungen führt.[112]
Die Beschneidung von Frauen hindert das Mädchen von jungen Jahren an, nervös zu werden und bewahrt sie davor, ein gelbes Gesicht zu bekommen. Diese Behauptung basiert in der Tat auf den Hadithen Muhammads: "Die Beschneidung ist makrumah für Frauen" und "macht das Gesicht strahlend.[113] Man beruft sich auch auf "den Hadith der Beschneiderin", um zu sagen, daß die Beschneidung das Gesicht der Frau verschönert und sie attraktiver für ihren Mann macht.[114] Nach einem Verfechter der Beschneidung von Frauen verleiht diese dem Mädchen eine gute Gesundheit, weibliche Schönheit und Schutz ihrer Moral, ihrer Keuschheit und ihrer Ehre, wobei ihr notwendiges sexuelles Empfindungsvermögen ohne Übertreibung aufrechterhalten wird.[115]
Doktor Hamid Al-Ghawabi gesteht zu, daß die Beschneidung von Frauen den Sexualtrieb der Frau beeinträchtigt, aber er sieht darin nur Gutes. Im Alter läßt der männliche Sexualtrieb nach. Seine beschnittene Frau sei in diesem Moment auf dem gleichen Niveau mit ihrem Sexualtrieb. Wenn sie es nicht wäre, könnte ihr Mann sie nicht befriedigen, was ihn dazu bringt zu Drogen zu greifen, damit es ihm gelingt[116].
Das ist das am meisten angeführte Argument. Professor Al-'Adawi von der Azhar sagt, daß die Beschneidung des Mädchens makrumah ist, was bedeutet, "daß sie ihr hilft, ihre Scham zu bewahren und sie vor Neigungen schützt, die ihren Sexualtrieb anstacheln.
Das Mädchen im Orient, einer oft sehr heißen Region, hat, wenn sie nicht beschnitten ist, einen sehr starken Sexualtrieb, der ihre Scham herabsetzt und sie geneigter macht, diesem Sexualtrieb nachzugeben außer bei derjenigen, mit der Gott Mitleid hat".[117] Der Richter `Arnus sagt, daß die Beschneidung von Frauen den Sexualtrieb vermindert, der wenn er übertrieben ist, die Person in den Status eines Tieres versetzt, und wenn er nicht existiert, reduziert er sie zu einem toten Gegenstand. Das ist ein Mäßiger. Daher sind unbeschnittene Männer und Frauen mehr dem Sex zugeneigt[118]. Salim, Präsident des höchsten muslimischen Gerichts (1955 aufgelöst), wiederholt, daß die Beschneidung von Frauen makrumah sei, ein verdienstvoller Akt, daß es nicht verpflichtend sei, sie zu praktizieren, aber daß es vorzuziehen sei, es zu tun. Denn, fügt er hinzu, sie schütze das Mädchen vor Infektionen, vor dem Anschwellen der äußeren Sexualorgane, vor starken psychischen Reaktionen und sexueller Erregung, die unterdrückt, zu nervösen Erschütterungen und nicht unterdrückt auf die Wege des Lasters führen, wenn man diesen nachgibt, vor allem in der Jugend und während der Aktivität der Geschlechtsdrüsen. Er erklärt, worin diese Beschneidung besteht: es handelt sich darum, den hervorragenden Teil der Klitoris abzuschneiden, der über die Haut hinausgeht, "damit dieser nicht Gegenstand der Reizung durch Bewegung, Kleidung, Besteigen von Tieren etc. ist. Daher ihr Name khafd: "die Höhe herabsetzen".[119] Gad-al-Haq, der Großscheich der Azhar, fügt hinzu, daß unsere Epoche die Beschneidung notwendig macht "wegen der Mischung von Männern und Frauen in Versammlungen. Wenn ein Mädchen nicht beschnitten ist, setzt sie sich vielen Reizen aus, die sie in einer zügellosen Gesellschaft ins Laster und ins Verderben treiben".[120]
Die Gegner der Beschneidung von Frauen lehnen sie wegen ihrer schädlichen Folgen ab, die in ihrer Schwere variieren, je nach praktizierter Form.
Zahlreiche Komplikationen ergeben sich nach der Beschneidung einer Frau. Diese Komplikationen, die variieren können, werden von Doktor Mahran wie folgt eingeteilt:
Es gibt keine chirurgische Technik, die diese Verstümmelung zu heilen vermag, die die erogene Sensibilität der amputierten Rezeptoren wieder herstellen kann. Die erotische Funktion einer beschnittenen Frau ist definitiv zerstört. Der Chirurg kann nur bei Komplikationen eingreifen, damit, wenn er ihr schon keine Lust mehr verschaffen kann, das Geschlecht einer verstümmelten Frau nicht noch mehr Leiden erzeugt.[122]
Die muslimischen Verfechter der Beschneidung von Frauen negieren diese Komplikationen nicht, aber sie führen sie auf die Art und Weise zurück, die Beschneidung von Frauen auszuführen, vor allem auf die Tatsache, daß man nicht die vom islamischen Recht vorgesehenen Bedingungen respektiert. Al-Sukkari schreibt: Wenn sich jemand an einen Barbier wendet, um sich von ihm eine Blinddarmoperation machen zu lassen, kann man daraus schließen, daß diese Operation an sich nicht von einem islamischen Text vorgesehen ist, weil die Art sie auszuführen schlecht ist? Er fügt hinzu, daß die Beschneidung von Frauen seit Jahrhunderten praktiziert worden ist und eine vom islamischen Recht erlaubte Sitte darstellt. Die vorgeblichen Folgen haben sich niemals eingestellt. Und wenn man heute darüber spricht, ist es vielleicht wegen derjenigen, die sie machen.[123]
Wir haben weiter oben gesehen, daß die Verfechter der so genannten sunnah-Beschneidung sich zu deren Gunsten auf die Vorbeugung des Drogenkonsums berufen. Dieses Argument wird von den Gegnern der Beschneidung von Frauen ins Gegenteil verkehrt.[124] Die Verbindung zwischen der Beschneidung von Frauen und der Geißel Haschisch in Ägypten wird breit von El-Masry ausgeführt. Die Beschneidung von Frauen verfälscht die sexuellen Beziehungen: "Wenigen Männern mit normaler Konstitution gelingt es, eine Frau voll zu befriedigen, regelmäßig zum Orgasmus zu bringen, die durch Verstümmelung einen Teil ihres sexuellen Empfindungsvermögens verloren hat... Der Mann wird bald gezwungen sein zu erkennen, daß ihm dieses aus eigener Kraft nicht gelingt... Ein einziges Heilmittel, um dieses Ziel zu erreichen: Haschisch". Er zitiert mehrere Quellen. Polizeigeneral Safwat, demzufolge
"die Narkotika in Ägypten verbreiteter sind, da sie im Bewußtsein der Menschen mit der sexuellen Aktivität verbunden sind, die selbst wiederum mit der in Europa unbekannten Exzision im Zusammenhang steht."
Dr. Hanna fügt hinzu:
"Der Mann greift immer zu Narkotika, um seine Frau sexuell zu befriedigen. Da die Exzision die Frau ihre Sensibilität verlieren läßt, ist der Mann gezwungen, Betäubungsmittel zu nehmen, um die notwendige Zeit durchhalten zu können"
Er behauptet, daß die Frauen von ihren Partnern verlangen, sich vor dem Geschlechtsverkehr zu dopen:
"Sie wissen in der Tat aus Erfahrung, daß dies ihre einzige Chance ist, zum Orgasmus zu kommen, denn Haschisch ist das einzige Mittel gegen die Verstümmelung der Klitoris."[125]
Die Kairoer Zeitschrift Al-Tahrir zieht daraus in der Nummer vom 20. August 1957 die folgende Konsequenz:
"Wenn Sie Narkotika bekämpfen wollen, verbieten Sie die Exzision."[126]
Man beobachtet die gleiche Verbindung zwischen Beschneidung von Frauen und Narkotika im Jemen, wo die Geißel Kat hart zuschlägt. Ein Versuch des Verbots im April 1957 in der britischen Kolonie von Aden hätte beinahe einen Volksaufstand ausgelöst. Die Jemeniten sahen in dieser Maßnahme eine "Beschränkung ihrer Grundrechte". Die Frauen selbst äußerten ihren Unmut, indem sie geltend machten, daß dieses ihr Eheleben beeinträchtigen würde. Seit dem 24. Juni 1958 ist der Gebrauch von Kat in Aden wieder legal geworden.[127]
Die Frau, die ihren Sexualtrieb nicht befriedigen kann, wird rebellisch und neurotisch, und anstatt die Moral zu bewahren, veranlaßt die Beschneidung Frauen, um jeden Preis sexuelle Befriedigung außerhalb der Ehe zu suchen. Das hat außerdem den Glauben an die Besessenheit vom Teufel zur Folge, der nirgendwo wie in Ägypten präsent ist, "als ob die Teufel kein anderes Land zum Wohnen finden als Ägypten".[128]
Für Dr. Al-Hadidi gibt es kein medizinisches Interesse an der Beschneidung von Frauen, im Gegensatz zur Beschneidung von Männern, da die Frau keine Vorhaut hat, die Mikroben zurückhält.[129] Dr. Nawal El-Saadawi bestreitet auch, daß die Beschneidung von Frauen die Fälle von Krebs an den Geschlechtsorganen reduziert.[130]
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Der rationale Streit um die positiven und negativen Folgen der Beschneidung ist nur von Interesse, wenn man im voraus das Prinzip des Respekts der körperlichen Integrität anerkennt und, daß jeder Angriff auf diese Integrität erlaubt oder verboten werden muß im Hinblick auf die negativen und positiven Folgen der Beschneidung. Nun, dies scheint nicht erlaubt zu werden, weder bei den Muslimen noch bei anderen, vor allem was die Beschneidung von Männern betrifft.
Was die Beschneidung von Frauen betrifft, wir haben es weiter oben gesagt, lehnen muslimischreligiöse Kreise sie ab, wenn sie eine andere als die sunnah genannte Form annimmt, vor allem wegen des Hadith' der Beschneiderin. Dagegen weigern sich diese Kreise, die sunnah genannte Beschneidung von Frauen auf der Basis der oben erwähnten Prinzipien und Kriterien zu verurteilen, auch wenn man einige Nuancen in ihren jeweiligen Positionen entdecken kann.
Hamrush, Präsident der fatwa Kommission der Azhar, lehnt den Gedanken ab, dem zufolge die Beschneidung der Frau Krankheiten vorbeugt oder die Gesundheit erhält, denn im Gegensatz zu Jungen hat sie keine Vorhaut, die den Schmutz zurückhält. Er lehnt ebenfalls den Gedanken ab, daß sie die Moral und die Ehre der Frau aufrechterhält und sie daran hindert, ihrem Sexualtrieb zu folgen. Wenn dies der Fall wäre, müßte man daraus schließen, daß sie eine Pflicht und keine makrumah ist. Trotzdem meint dieser Scheich, daß es wünschenswert sei, die Beschneidung von Frauen unter Anwendung von Muhammads Hadithen anzuwenden.[131]
Professor Al-Labban sagt, daß die äußere wissenschaftliche Beobachtung nicht dazu dienen darf, die von Gott erlassenen und von Muhammad verkündeten Normen (darunter die Beschneidung von Männern und Frauen) zu widerlegen sondern diese zu bestätigen.[132] Und wenn wir die hinter diesen Normen stehende Weisheit nicht verstehen, fällt die Schuld auf unseren Verstand und nicht auf Gott. Die islamische Gesetzgebung ist die endgültige Gesetzgebung und sie ist in der Lage in allen Zeiten zu herrschen; unser menschliches Gehirn kann keine Ebene erreichen, die ihm erlaubt, diese für unvollkommen zu halten. In der Tat spricht Muhammad nicht aus Leidenschaft.[133] Er erklärt, wie die Wissenschaft die religiöse Norm bestätigt. Die sunnah genannte Beschneidung von Frauen erlaubt den kleinen Nerven zusammenzuwachsen (im Gegensatz zu anderen Formen der Beschneidung von Frauen) und erleichtert die Reinigung nach dem Abschneiden des vorstehenden Teils, der den Menstruationsfluß und den Urin zurückhält. Diese Weisheit hinter der islamischen Norm ist erst kürzlich von der Wissenschaft entdeckt worden.[134]
In einer ägyptischen fatwa vom 23. Juni 1951 wird gesagt:
Medizinische Theorien über Krankheiten und deren Behandlungsmethoden sind nicht konstant; sie unterliegen der zeitlich bedingten Veränderung und der Forschung. Deshalb kann man nicht darauf vertrauen, um die Beschneidung von Frauen anzuschwärzen. Der weise Gesetzgeber, Experte und Gelehrter zeigt hier eine Weisheit und bedient sich dieser, um die menschliche Schöpfung zu berichtigen. Die Erfahrungen haben uns gelehrt, daß sich uns mit der Zeit die Tatsachen enthüllen, was uns verborgen geblieben war in bezug auf die Weisheit des Gesetzgebers, in dem was er uns als Gesetze gegeben hat.[135]
Al-Sukkari behauptet, daß Muhammad niemals Vorbehalte gegen die Beschneidung von Frauen geäußert habe, die bedeuten könnten, daß sie schädlich sei. Wie kann in diesem Fall ein gewöhnliches menschliches Wesen sie unter dem Vorwand verbieten, sie sei schädlich für das Mädchen? Kann man sich vorstellen, daß der Prophet schweigen würde angesichts eines für das Mädchen schädlichen Akts? [136] Der Mensch hat nicht das Recht zu erlauben oder zu verbieten, dies ist eine Eigenschaft Gottes, ausgedrückt im Koran oder durch seinen Propheten.[137] Wenn trotzdem einige Länder die Beschneidung von Frauen verbieten, ändert diese staatliche Gesetzgebung nichts an der Tatsache, daß sie durch das religiöse Gesetz erlaubt bleibt.[138]
Imam Shaltut sieht, wie wir weiter oben gesehen haben, keine Basis für die Beschneidung von Männern und Frauen, weder im Koran noch in der Sunna Muhammads. Für ihn stellt die Beschneidung von Frauen kein medizinisches Interesse dar, weil das Mädchen keine Vorhaut hat, die den Schmutz zurückhält. Er stellt dann die Verfechter und die Gegner Rücken an Rücken, die sich auf rationale Gründe für oder gegen die Beschneidung berufen; beide übertreiben. Er schließt, daß die Beschneidung von Frauen eine makrumah für Männer sein könnte, die nicht daran gewöhnt sind, den vorragenden Teil zu spüren; und in dieser Hinsicht ähnelt sie in der Tat der Schönheitspflege, sich zu parfümieren oder die Achseln zu enthaaren.[139] In einer anderen Beurteilung spricht Imam Shaltut sich für die Aufrechterhaltung der Sitte der Beschneidung von Frauen aus, da deren schädlicher Charakter nicht bewiesen sei.[140]
Scheich Al-Nawawi gelangt mit dem gleichen Gedanken zu einem anderen Resultat. Ihmzufolge sind die Hadithe Muhammads in bezug auf die Beschneidung von Frauen schwach und diese habe keinen Sinn. Durch den Islam ist ihre Praxis unter den Arabern gemäßigt worden und sie wird weiterhin in dieser gemäßigten Form praktiziert, ohne die Qualität einer Pflicht zu erlangen außer in einigen Ausnahmefällen. Man kann keine Norm auf der Basis einer Ausnahme errichten.[141]
Eine weniger präzise Meinung wird von Al-Banna, dem ägyptischen Vizeminister für religiöse Angelegenheiten abgegeben. Ihmzufolge kann die Beschneidung von Frauen nicht losgelöst vom Zweck betrachtet werden. Gott lädt sie uns nicht auf, wenn sie keinen Zweck hat. Wenn sie deshalb von Interesse ist, muß man sie befolgen; wenn nicht, muß man sie abschaffen. Kompetente Ärzte müssen sich dazu äußern unter Berücksichtigung aller Mädchen aus verschiedenen Gegenden mit unterschiedlichem Klima, da sich das Problem von einem Land zum anderen anders äußern kann oder sogar von einem Mädchen zum anderen. Wenn ein Mädchen einen besonderen Fall darstellt, muß man sie beschneiden; sonst soll man die menschliche Natur lassen wie Gott sie geschaffen hat. Da eine solche Studie nicht gemacht worden ist, bleibt es den Muslimen frei, ob sie sie praktizieren oder nicht.[142]
Nach Professor Khallaf dürfen Ärzte die Beschneidung von Frauen nicht ausgehend von Einzelfällen verurteilen, sondern die Beschnittenen mit den Unbeschnittenen vergleichen und dann ihr Urteil fällen. Wenn sie daraus schließen, daß die Beschneidung von Frauen schädlich und daher zu verbieten ist, wird das Verbot keinem religiösen Text widersprechen, noch einer einstimmigen Position religiöser Gelehrter.[143]
Dr. 'Abd-al-Wahid bietet uns eine wenigstens seltsame Argumentation. Nachdem er behauptet hat, daß die Beschneidung von Frauen im Prinzip verboten sei genauso wie es verboten sei, sich in den Finger zu schneiden, erkennt er an, daß der Gesetzgeber (Gott) die so genannte sunna-Beschneidung erlaubt hat, wobei alles weitergehende verboten sei. Er fügt hinzu, daß diese Form der Beschneidung erlaubt aber nicht verpflichtend ist und schlägt vor, sie zu verbieten wegen ihrer schädlichen medizinisch-psychologischen Auswirkungen, die er breit darlegt.[144]
Die gewagteste und logischste Meinung eines religiösen Verantwortlichen gegen die Beschneidung von Frauen stammt von Scheich Abo Sabib, einem Sudanesen, von dem wir weiter oben gesprochen haben. Er hat sich vor dem Seminar über traditionelle Praktiken geäußert (Dakar, 1984). Muhammads Hadithe, die sich auf die Beschneidung von Frauen beziehen, sind nicht zuverlässig. Der Koran und die Aussprüche Muhammads erlauben es nicht, jemanden leiden zulassen, wenn die Wissenschaft die Schädlichkeit dieser Verstümmelung beweist.[145]
Einzig die beiden letzten Meinungen befürworten das Verbot der Beschneidung von Frauen und plädieren für das Prinzip der körperlichen Unversehrtheit. Die anderen hüten sich davor, sie zu verbieten, auch wenn einige den Gläubigen die Wahl lassen. Gehen wir nun zum Verbot auf staatlicher Ebene über.
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Hinsichtlich der Beschneidung von Mädchen stellen sich die folgenden Fragen:
Muslimische Kreise, die die Beschneidung von Frauen befürworten, sehen in der westlichen Kampagne gegen die Beschneidung von Frauen einen imperialistischen Akt. Al-Sukkari schreibt, daß, wenn man heute versucht, sie zu unterbinden "dies geschieht, weil es dem Westen gelungen ist, in großem Umfang seine laizistischen, materialistischen Standpunkte, unseren Wissenschaften, unseren Sitten und unseren Künsten aufzuerlegen".[146]
Imam Shaltut, der die Möglichkeit, die Beschneidung von Frauen zu verbieten, akzeptiert, wenn sie sich als schädlich erweist, präzisiert, daß dieses Verbot nicht erlassen werden darf, um andere Völker zu imitieren - höfliche Anspielung auf den Westen -sondern nur wenn bewiesen ist, daß sie schädlich ist.[147]
Jomo Kenyatta, der verstorbene Präsident Kenias, sagte: "Die Beschneidung und die Infi-bulation verbinden unsere Schichten; sie sind Zeichen unserer Fruchtbarkeit".[148] Darauf antwortet Pierre Leulliette:
"Millionen von Kindern von zwei bis vierzehn Jahren werden schrecklich gefoltert in einer Atmosphäre kollektiver Hysterie, in Verachtung ihres Geschlechts, in Verachtung ihres Körpers, in Verachtung ihres Lebens... Ist die wilde Kultur in diesem Fall nicht die niedrigste Manifestation der unbegrenzten, allgegenwärtigen Phallokratie? Sind diese Verstümmelungen nicht einfach ein Akt des Hasses und geheimer Ängste von Männern gegenüber von Frauen?"[149]
Dieses Problem wird erneut im Schoße der internationalen Organisationen gestellt. Am 10. Juni 1958 hat der Wirtschafts- und Sozialrat der UNO die Weltgesundheitsbehörde (OMS) aufgefordert, "eine Studie durchzuführen über die Beständigkeit von Sitten, die darin bestehen, Mädchen rituelle Operationen aufzuerlegen und über ergriffene oder vorgesehene Maßnahmen, mit diesen Praktiken Schluß zu machen".[150] Die Antwort war klar: "(Die Weltgesundheitsbehörde) schätzt, daß die in Frage kommenden rituellen Operationen von gesellschaftlichen und kulturellen Konzepten herrühren, deren Erforschung nicht in den Kompetenzbereich der OMS fällt".[151] Und das obwohl vom regionalen Büro der OMS im östlichen Mittelmeerraum ein erdrückender Bericht erstellt worden ist.[152]
In einem Kommuniqué über die Beschneidung von Frauen vom 23. September 1980, erklärt die UNICEF, daß ihre Bemühung, um die Ausrottung einer Praxis, die auf mehr als 2000 Jahre alte kulturelle und traditionelle Modelle zurückzuführen ist, "auf der Überzeugung basiert, daß die beste Art und Weise, dieses Problem anzugehen, die Auslösung einer Bewußtseinsbildung durch Erziehung der Öffentlichkeit ist durch Vertreter medizinischer Berufe und durch die üblichen Gesundheitsbevollmächtigten und mittels der Beteiligung lokaler Gruppierungen und deren Initiatoren".[153]
1984 hat das interafrikanische Komitee empfohlen, daß "aus verständlichen psychologischen Gründen in diesem Bereich das Wort den schwarzen Frauen überlassen werden muß". Es hat um des Erfolgs willen gefordert, "die Welle heftiger und unkontrollierter vom Westen ausgehender Reaktionen zu bremsen, diese Verstümmelungen anzuklagen".[154] Was die Frage eines gesetzlichen Verbots betrifft, hatte es 1984 vor "einer überstürzten Eile, die zu übereilten gesetzlichen Maßnahmen führt, die man niemals anwenden würde"[155] gewarnt. Was die Gesundheitsfachleute betrifft, begnügt es sich damit, "die Beschneidung von Frauen als medizinisches Problem (in medizinischen Einrichtungen) und die Modernisierung der Praxis der Beschneidung von Frauen zu verurteilen, da diese nicht mit der medizinischen Ethik vereinbar sei" und es empfiehlt aus dem gleichen Grund, "dem gesamten medizinischen und paramedizinischem Personal" zu verbieten, "sie auszuführen".[156]
Dieses Problem bringt die westlichen Gastländer in Verlegenheit. Dominique Vernier schreibt:
"Seit den ersten Bestimmungen (in Frankreich), die auf Beschneidungsangelegenheiten abzielen (man beginnt seit 1982/83 in der Presse darüber zu reden), ist die Justiz in Verlegenheit und hört bis heute nicht auf, es zu sein."[157]
Diese Verlegenheit basiert auf in den Prinzipien des Strafrecht selbst liegenden Ursachen. In der Tat haben die Eltern nicht die Absicht, ihren Kindern Verletzungen und Gewalt zuzufügen, sondern wollen ganz einfach, eine Sitte respektieren, mangels derer ihre Töchter sich nicht in ihre Herkunftsländer integrieren können.[158] Andererseits ist es auf der praktischen Ebene für ein Paar, das sein Kind beschneiden lassen will, nicht schwierig, in sein Heimatland zu fahren, um es dort machen zu lassen, wobei das Recht des Gastlandes außer Kraft gesetzt wird. Wenn schließlich die Herkunftsländer Gesetze gegen solche Praktiken verabschieden würden, könnten diese Gesetze nicht gegen eine massive Praxis angehen, die im Herzen selbst, dessen, was diese Gesellschaft formt, verwurzelt ist.[159]
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Diese Debatte um das Recht auf Differenz wurde zugunsten des Rechts des Mädchens (nicht des Jungen) auf Integrität beendet.
Die OMS hat die oben genannten 1959 geäußerten Vorbehalte aufgegeben. Sie hat 1977 die Bildung der ersten Arbeitsgruppe über die Beschneidung von Frauen unterstützt. Im Februar 1979, hat ihr regionales Büro des östlichen Mittelmeerraums in Khartoum das erste internationale Seminar über traditionelle Praktiken, die Auswirkungen auf die Gesundheit der Frauen und Kinder haben, organisiert. Dieses Seminar empfahl konkrete nationale politische Maßnahmen zu verabschieden, die auf die Abschaffung der Beschneidung von Frauen abzielen.[160] Im Juni 1982 hat die OMS eine formale Erklärung über ihre Position zur Beschneidung von Frauen gegenüber der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen abgegeben. Sie stimmte dort den Empfehlungen, die am Ende des in Khartoum gehaltenen Seminars formuliert worden sind, zu und fügte hinzu: "Die Meinung der OMS war immer, daß die Beschneidung von Frauen niemals von Gesundheitsfachleuten, in welchem Zusammenhang auch immer, praktiziert werden darf, einschließlich von Krankenhäusern oder anderen speziellen Einrichtungen.[161] Die letzte Stellungnahme stammt von 1989: das regionale Komitee der OMS für Afrika hat eine Resolution verabschiedet, die den Mitgliedsstaaten empfiehlt:
Eine Wende kann man auch in der Position des interafrikanischen Komitees feststellen. Während es 1984 vor der Verabschiedung von Gesetzen gegen die Beschneidung von Frauen warnte, forderte es 1987 solche Gesetze, da "weder Anstrengungen, noch Forschungen, noch Kampagnen einen tatsächlichen Effekt hatten".[163] Drei Jahre später, hat es seine Position bekräftigt, indem es die Verabschiedung besonderer Gesetze verlangt hat, "die die Praxis der genitalen Verstümmelung bei Frauen und sexuellen Mißbrauch verbieten und Strafen vorsehen für jede Person, die Schuld an solchen Praktiken trägt". Dieses Gesetz sollte "eine besonders strenge Strafe für im medizinischen Bereich Beschäftigte vorsehen".[164]
Einige westliche Länder haben sich vorsichtig den beiden oben erwähnten Organisationen angenähert. So hat Frankreich 1981 den Artikel 312, Absatz 3 des Strafrechts verabschiedet, der besagt:
Dieser Artikel wird gegen die Beschneidung von Frauen herangezogen, auch wenn das Wort nicht verwendet wird. In Schweden verbietet ein Gesetz von 1982 Eingriffe an äußeren Organen, die darauf abzielen, diese zu verstümmeln oder endgültige Veränderungen zu bewirken, ob das Einverständnis gegeben worden ist oder nicht.[165] Großbritannien hat 1985 das gleiche getan".[166]
In der Schweiz bestimmt Artikel 122 des Schweizerischen Strafrechts:
"Derjenige, der den Körper einer Person, eines seiner Glieder oder seiner wichtigen Organe oder dieses Organ unbrauchbar für seine Funktion gemacht hat, wird mit höchstens 10 Jahren Zuchthaus oder mit einer Strafe von 6 Monaten bis zu 5 Jahren Gefängnis bestraft."
Außerdem hat die zentrale Kommission für medizinische Ethik der schweizerischen Akademie für medizinische Wissenschaft 1983 eine klare Position gegen die Beschneidung von Frauen und deren Ausführung durch das medizinische Personal bezogen.[167]
Keine Definition wird gegeben für den Begriff "für die Gesundheit des Kindes schädliche traditionelle Praktiken". Die vorbereitenden Arbeiten sind uns in diesem Bereich überhaupt nicht hilfreich. Die Definition wird also dem Wohlgefallen der Staaten überlassen. Diese Staaten werden im Übrigen nicht zögern sich auf Artikel 29, Ziffer 1, Buchstabe c, dieser Konvention zu berufen:
"Die Teilstaaten stimmen darin überein, daß die Erziehung des Kindes darauf gerichtet sein muß, dem Kind Respekt vor den Eltern einzuprägen, vor seiner Identität, seiner Sprache und seinen kulturellen Werten, sowie Respekt vor den nationalen Werten seines Landes, in dem es lebt, des Landes, aus dem es stammen kann und anderen Völkern als dem seinen."
Heben wir schließlich die Erklärung von London der 1. europäischen Studienkonferenz über genitale Verstümmelungen von Mädchen (London, 6.-8. Juli 1992) hervor. Diese Erklärung besagt: "jede Form genitaler Verstümmelung und Verletzung von Mädchen ist eine Verletzung seines fundamentalen Menschenrechts und muß abgeschafft werden". Sie verlangt von nationalen Gruppen und Individuen, "einen gesetzlichen Handlungsrahmen voranzutreiben, der auf spezifischen Gesetzen gegen die genitalen Verstümmelungen von Frauen oder auf allgemeinen Gesetzen gegen Körperverletzungen an Kindern basiert". Sie verlangt von den Regierungen und allen Gesundheitsorganisationen, "jedem Versuch zu widerstehen, die genitale Verstümmelung oder Verletzung des Mädchens als ein medizinisches Problem zu legalisieren".[168]
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Man muß hier daran erinnern, daß eine erste Unterscheidung auf der Ebene des Gesetzes und der Mentalitäten zu Unrecht zwischen der Beschneidung von Männern, die generell erlaubt wird, und der Beschneidung von Mädchen gemacht worden ist. Weder die OMS, noch das interafrikanische Komitee, noch die UNICEF, noch die Erklärung von London, noch die westlichen Gesetze, die die Beschneidung von Frauen verbieten, befassen sich mit der Frage der Beschneidung von Männern. Sie ist auch nicht in den vorbereitenden Arbeiten zum Artikel 24, Ziffer 3 der Kinderrechtskonvention vorgesehen. Man weist dort auf die Beschneidung von Mädchen hin, aber niemals auf die Beschneidung von Jungen.[169]
Man hätte logischerweise von diesen Organisationen und von den westlichen Gesetzen erwarten können, daß sie auch eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Formen der Beschneidung von Frauen machen in dem Maße wie die gutartige Beschneidung von Frauen mit der Beschneidung von Männern vergleichbar ist. Nun, dies ist überhaupt nicht der Fall, wie wir weiter oben gesehen haben. Auf der oben erwähnten europäischen Studienkonferenz über genitale Verstümmelungen bei Mädchen, versuchte Holland, eine solche Unterscheidung zuzulassen, aber die OMS hat sich ihr widersetzt. Doktor Mehra, die die OMS vertrat, hat mir erklärt, daß sie fürchtet, es sei unmöglich die Praxis zu kontrollieren, wenn man eine bestimmte Form erlaubt.[170]
Diese konsequente Haltung gegen jede Form der Beschneidung von Frauen wird vom islamischen Recht nicht geteilt. Letzteres unterscheidet zwischen der erlaubten sunnah genannten Form der Beschneidung von Frauen und anderen Formen, die, obwohl sie weit verbreitet sind, von religiösen Kreisen verurteilt werden. Diese Unterscheidung scheint auch in islamischen Ländern erlaubt zu sein.
Im Sudan betrachtet ein Gesetz von 1946 die Infibulation als Verstoß, der mit einer Geldstrafe und Gefängnis geahndet werden muß. Es wurde unter öffentlichem Druck abgeschafft und ersetzt durch die Erlaubnis für ausgebildete Hebammen die sunnah-Beschneidung auszuführen.[171]
In einem undatierten Flugblatt in arabischer Sprache schreibt die Sudanesische Vereinigung für den Kampf gegen traditionelle Praktiken:
Diese Organisation scheint, obwohl sie die Beschneidung von Mädchen auf generelle Weise ablehnt, im dritten Absatz die sunnah genannte Praxis der Beschneidung anstelle der im Sudan üblichen pharaonischen Beschneidung vorzuschlagen. Ein Dokument, das vom Nationalen Rat für soziale Unterstützung in Zusammenarbeit mit der UNICEF-Khartoum vorbereitet worden ist, tut das gleiche. Dieses Dokument präzisiert, daß die gute Form der Beschneidung sunnah heißt, was bedeutet, daß sie mit der Überlieferung Muhammads im Einklang steht; das ist eine Art, sie zu legitimieren, statt sie auszurotten.[172]
Eine ähnliche Haltung nimmt Ägypten ein. Dieses Land hat ein ministerielles Dekret (Nr. 74 von 1959) über die Beschneidung von Frauen erlassen. Der Text ist sehr unklar. Er sagt folgendes:
Dieser Text ist ein Auszug aus einem neuen Sammelwerk über das Leben der Frau und ihre Gesundheit. Die Autoren dieses Werks sagen, daß der Text zu wünschen übrig läßt, da er nicht die Beschneidung von Frauen verbietet. Man muß deshalb ein Gesetz erlassen, das absolut jede Form der Beschneidung von Frauen verbietet.[174
Die juristischen Werke und Sammlungen ägyptischer Gesundheitsgesetze erwähnen niemals dieses Dekret. Man findet auch keine Urteile zu diesem Thema. Andererseits haben die ägyptischen Gerichte einen Barbier verurteilt, der einen Jungen beschnitten hat und dabei dessen Tod verursacht hat. Im Gegensatz zum Arzt, sagt das Urteil, ist der Barbier nicht durch das Gesetz geschützt, wenn seine Handlung zum Tod oder zu einem Gebrechen führt. Es hat sich geweigert, das lobenswerte oder barmherzige Ziel des Barbiers zu berücksichtigen oder das Fehlen einer kriminellen Absicht. Im vorliegenden Fall hat das Gericht Artikel 200 des Strafrechts angewendet, der drei bis sieben Jahre Zwangsarbeit oder Haft vorsieht im Fall einer gewollten Verletzung ohne Absicht den Tod zu geben, diesen aber verursachend.[175] In einem anderen Urteil hat der Kassationshof bestätigt, daß die Hebamme nicht das Recht hat, die Beschneidung, eine Operation, die allein den Ärzten vorbehalten ist, kraft Artikel 1 des Gesetzes Nr. 415/ 1954, auszuführen. Er fügte hinzu, daß jeder Angriff auf die körperliche Integrität, außer in notwendigen Fällen, die das Gesetz bestimmt, strafbar ist, mit Ausnahme der Handlungen, die von einem Arzt ausgeführt werden. Die Hebamme, um die es sich handelt, hatte einen Jungen auf falsche Weise beschnitten, indem sie ihm die Eichel des Glieds abgeschnitten hat und ihm so eine dauerhafte Behinderung beigebracht hat, die vom Gericht auf 25% geschätzt worden ist. Die Strafe, die der Hebamme auferlegt worden ist, belief sich auf sechs Monate Zwangsarbeit mit drei Jahren Bewährung.[176]
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Alle stimmen darin überein zu sagen, daß gesetzliche Maßnahmen an sich niemals ausreichen, um die Beschneidung von Frauen abzuschaffen. Man muß darüber hinaus vor allem das Bewußtsein der Opfer solcher Praktiken wecken. Dafür muß man die Ursachen dieser Praktiken verstehen. Müßte man nicht in der Zwischenzeit versuchen, das Schlimmste zu verhüten, indem man sie provisorisch in gemäßigter Form im Bereich von Krankenhäusern erlaubt?
Wie wir weiter oben gesehen haben, lehnen die OMS, das interafrikanische Komitee, die Erklärung der schweizerischen Akademie für medizinische Wissenschaften und die Erklärung von London diese Möglichkeit als konträr zur medizinischen Ethik ab. Sie fordern sogar strenge Strafen für das medizinische Personal, das die Beschneidung von Frauen praktiziert.
Diese Haltung ist angreifbar. Ein radikales gesetzliches Verbot würde nur die Praxis der heimlichen Beschneidung durch Personen ermutigen, die nicht die erforderlichen Kenntnisse haben, um Komplikationen zu vermeiden, die die Gesundheit der Frau aufs Spiel setzen. Der Vertreter Senegals hat anläßlich der Ausarbeitung der Kinderrechtsskonvention dieses Problem in Betracht gezogen. Daher die aktuelle Fassung des Artikels 24, Absatz 3.[177]
Dominique Vernier denkt, daß man die Beschneidung als medizinisches Problem wie sie bei städtischen intellektuellen Eliten in einigen afrikanischen Ländern praktiziert und in einigen italienischen Krankenhäusern geduldet wird, akzeptieren muß, trotz der Feindseligkeit der Ärzte. Sie schlägt auch die Ersetzung der realen Beschneidung durch die symbolische vor, so wie sie in Guinea praktiziert wird. In diesem Land macht die Schmiedin eine einfache Schürfwunde so daß einige Tropfen Blut vergossen werden. Eine Art, den Ritus zu erhalten, ohne das Kind zu verstümmeln.[178]
Die Beschneidung als medizinisches Problem droht jedoch, die Beschneidung von Frauen zu legalisieren und sie fortzusetzen, vor allem wegen ihrer ökonomischen Verflechtungen. Auf dem UNO Seminar in Ouagadougou haben einige Teilnehmer erklärt, daß das medizinische Personal aus im wesentlichen finanziellen Motiven mehr und mehr dazu tendiert, die alten Frauen und Beschneiderinnen zu ersetzen und die Beschneidung in Krankenhäusern auszuführen.
Die Gesundheitsbevollmächtigten profitieren nicht nur von der Praxis der Beschneidung, sondern führen sie fort und reduzieren dabei wenigstens die Risiken. Motiviert von Geldgier ignorieren sie vorsätzlich die schlimme Seite der sexuellen Verstümmelungen. Im Bewußtsein des Vertrauens und der Achtung, die ihnen die Bevölkerung entgegenbringt, mißbrauchen sie die Naivität der Eltern, um die Berechtigung der Sitte zu demonstrieren. Den Teilnehmern des genannten Seminars zufolge muß eine solche Richtung vehement bekämpft werden, da sie der Beschneidung eine neue Legitimation zu geben droht.[179]
A. Gaudio und R. Pelletier sehen in der Beschneidung von Frauen "einen Ausdruck der männlichen Macht",[180] einen "diabolischen Willen, die Sexualität der Frau zu kontrollieren, eine unendliche Tyrannei des männlichen Herrschers unter dem Alibi der Kultur".[181]
Nawal E1-Saadawi, die selbst beschnitten ist, erklärt die Aufrechterhaltung der Beschneidung von Frauen in der arabischen Gesellschaft mit dem Willen des Mannes zu herrschen:
"Die Bedeutung, die man in diesen Gesellschaften der Jungfräulichkeit und einem intakten Hymen beimißt, ist der Grund dafür, daß die Beschneidung von Frauen noch immer eine weit verbreitete Praxis ist, trotz einer steigenden Tendenz, vor allem im städtischen Ägypten, diese als etwas unzeitgemäßes und schmerzhaftes abzulehnen. Hinter der Beschneidung steht der Glaube, daß, indem Teile der äußeren Geschlechtsorgane von Mädchen entfernt werden, das sexuelle Verlangen verringert wird. Dieses erlaubt einem Mädchen, das das gefährliche Alter der Pubertät und der Jugend erreicht hat, seine Jungfräulichkeit und deshalb seine Ehre leichter zu schützen. Keuschheit durch Kastration war den männlichen Wächtern im weiblichen Harem auferlegt, die sie zu angriffsschwachen Eunuchen machte. Ähnlich meint man, daß die Beschneidung von Frauen, die Keuschheit junger Mädchen bewahren kann, indem ihr Verlangen nach sexuellen Kontakten reduziert wird."[182]
Sie fügt hinzu, daß die Beschneidung von Mädchen ein Mittel ist, die Frau zu beherrschen, vor allem in einer patriarchalen Gesellschaft, in der ein Mann mehrere Frauen haben darf. Man hat so auf verschiedene Mittel zurückgegriffen, sie sexuell einem Mann zu unterwerfen und zu kontrollieren, wem die Kinder gehören.[183]
Für Dr. Gérard Zwang ist die Beschneidung durch die Erzeugung eines "metaphysische Schuldgefühls" motiviert. Das ist die Motivation "für alle sexuelle Verstümmelungen, die die Menschen sich zufügen, seit sie Stein oder Metallmesser erfunden haben. Diejenige, die jede nichtreligiöse, metaphysische Betrachtung nichtig und ungeschehen macht": Durch die Erzeugung eines metaphysische Schuldgefühls bieten die meisten menschlichen Wesen den Göttern, der Heiligkeit, den Geistern Opfer an. Irdische Freuden, fleischliche Gelüste, für das Vergnügen bestimmte Organe. Mit dem Ziel, "eine gute Position" im außer-, über oder innerirdischem Leben zu erlangen, das notwendigerweise (!) dem Tod folgt. Daher die Enthaltsamkeit, die Fastenzeit, der Ramadan, mit Tabu belegte Nahrungsmittel, daher die das sexuelle Leben einschränkenden Vorschriften, Keuschheit, Enthaltsamkeit, das verschiedenartige Beschneiden der Genitalien (Beschneidung, Exzision, Infibulation, Einschneiden, die Halbkastration u.s.w.).[184]
Das ökonomische Interesse kann ebenso die Aufrechterhaltung der Beschneidung von Frauen erklären. Wir haben es weiter oben in bezug auf die Beschneidung in Krankenhäusern gesehen. Man kann dies auch im traditionellen Bereich feststellen, wo die weisen Frauen, die finanziell von diesen Praktiken profitieren, nicht bereit sind, auf diese Praktiken zu verzichten[185]. In einigen Regionen wird der Beruf der Beschneiderin von der Mutter auf die Tochter übertragen, das Überleben der Familie hängt davon ab. Die Ausrottung der Praxis der Beschneidung hätte die Erschöpfung der einzigen Einnahmequelle der Familie zur Folge. Deshalb empfiehlt man ein System der Umorientierung, um aus den Beschneiderinnen Matronen zu machen, indem man ihnen so erlaubt, die Beschneidung aufzugeben zugunsten einer anderen entlohnten Aktivität.[186] Das ökonomische Interesse spielt auch bei er Beschneidung von Männern eine Rolle. In Kanada, wo die Versicherungen beginnen, die Erstattung der Kosten zu verweigern, geht sie deutlich zurück.[187]
Man muß hinzufügen, daß die Mitgift, wenn ein Mädchen zum Zeitpunkt der Hochzeit Jungfrau ist, höher ist als wenn sie es nicht wäre; die Jungfräulichkeit junger Mädchen ist also ein Vorteil, der Geld wert ist. Das erklärt die Hartnäckigkeit, mit der manche Völker die Praxis der Infibulation verteidigen.[188]
Nawal E1-Saadawi behauptet, daß die Mädchen, mit denen sie diskutiert hat, sich der Beeinträchtigung, die die Beschneidung bei ihnen verursachen kann, nicht bewußt waren. Einige dachten sogar, daß sie gut für die Gesundheit und die Reinheit sei, vor allem weil in der Umgangssprache dafür das Wort "Reinigung" (taharah) gebraucht wird. Die Mädchen glauben, daß diese Operation darauf abziele, sie zu reinigen, die Leute daran zu hindern, schlecht über sie zu reden, sie daran zu hindern, Männern nachzu laufen und zu vermeiden, von ihrem Mann zurückgewiesen zu werden. Nach ihrer Genesung hatten sie ein Gefühl der Befriedigung, gereinigt worden zu sein. Diese Art von Antwort hatte Nawal El-Saadawi sogar von Medizinstudentinnen bekommen, die niemals von ihren Professoren oder aus studierten Büchern erfahren haben, daß die Klitoris eine sexuelle Funktion hat. Niemals stellte man im Medizinexamen eine Frage über die Klitoris, da die Klitoris als bedeutungslos betrachtet worden ist.[189]
Nach den Zeugnissen, die Wedad Zenie-Ziegler über ägyptische Frauen gesammelt hat, praktizieren die Bäuerinnen die Beschneidung von Frauen, weil "das immer gemacht worden ist"; sie wußten deren Grund nicht.[190] "Der Gedanke, daß diese Operation eine Verstümmelung darstellen könnte, kommt ihnen nicht einmal in den Sinn".[191]
Wedad Zenie-Ziegler fügt hinzu, daß diese Frauen "sich befleißigen werden, das Ritual fortzusetzen, solange sie nicht verstanden haben, daß dieses Opfer unnötig ist und sich in ein grenzenloses Komplott einfügt, das dazu bestimmt ist, sie der männlichen Herrschaft zu unterwerfen".[192]
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Für uns ist ein Gott, der von seinen Gläubigen verlangt, sich zu verstümmeln, um sie durch ihr Geschlecht zu markieren, so wie man Vieh brandmarkt, von einer zweifelhaften Moral. Man kann verstehen, daß die Beschneidung von Männern oder Frauen, wie jeder andere medizinische Eingriff in besonderen Fällen und aufgrund individueller medizinischer Indikationen gerechtfertigtsein kann. Aber Kinder, Jungen und Mädchen zu verstümmeln, indem man vorgibt, ihnen etwas Gutes zu tun, weist auf Zynismus und Fanatismus hin.
Deshalb gibt es keinen Grund, der die Unterscheidung zwischen Beschneidung von Frauen und Beschneidung von Männern rechtfertigen könnte. Dr. Zwang geht noch weiter. Er behauptet: "Man wird niemals der Beschneidung von Frauen Einhalt gebieten können, wenn man weiterhin die Beschneidung von Männern praktiziert. Wie wollen Sie einen Afrikaner überzeugen, seine Tochter nicht zu beschneiden, wenn Sie ihm gleichzeitig erlauben, seinen Sohn zu beschneiden?". Man kann deshalb die Haltung der internationalen und regierungsunabhängigen Organisationen nur verurteilen für die Trennung dieser beiden Arten von Verstümmelung, da auf diese Weise die Beschneidung von Männern legitimiert wird.
Die Religion war ein Instrument zur Rechtfertigung der Beschneidung von Männern und Frauen. Man müßte also deren irrationalen Charakter demaskieren und die unheilvolle Rolle einiger religiöser Kreise anklagen, die sie verteidigen oder sich weigern, sie zu bekämpfen.
Das ist das Ziel dieser Studie, die hoffentlich zur Respektierung der Rechte des Kindes beitragen wird.
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* aus dem Französischen übersetzt von A. Hartstock
Ich lege Wert darauf, diesen Organisationen für ihre Unterstützung und ihre Ermutigung bei der Vorbereitung dieser Studie zu danken.
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Dr. Sami Abu-Aldeeb Sahlieh ist Doktor der Rechte, Experte im arabischen und islamischen Recht. Er war von 1980-2009 Verantwortlicher für arabisches und islamisches Recht am Schweizerischen Institut für Rechtsvergleichung , sowie Gastprofessor an den Universitäten Straßburg, Aix-en-Provence, Cergy-Pontoise, Grenoble, Lugano, Palermo und Trento. Dr. Abu-Aldeeb Sahlieh ist heute Leiter des Zentrum für islamisches und arabisches Recht, in Saint-Sulpice VD, Schweiz.
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Zitierweise der deutschen Übersetzung: